John Wells Bd. 2 - Netzwerk des Todes
eingestehen, dass Li die Taliban finanziert hatte. Immerhin hatte Li die USA ebenso manipuliert wie seine eigene Regierung. Weitere Enthüllungen hätten nur weiteren Gesichtsverlust auf beiden Seiten bedeutet.
Kowalski wusste, dass er die Sache ruhen lassen sollte. Er war der Strafe entkommen. In der Regel war er stolz darauf, nicht in Auseinandersetzungen verwickelt zu werden. Seine prahlerischen Kunden fochten die Kämpfe aus. Er verkaufte ihnen nur das entsprechende Gerät, nicht mehr. Aber diesmal ließ ihn seine Vernunft im Stich. Präsidenten und Generäle baten ihn um die Waffen, die sie brauchten. Er war niemandes Diener, niemandes Nutte. Niemand berührte ihn ohne Erlaubnis.
Aber jede Nacht, wenn er die Augen schloss, fühlte er das dicke silberfarbene Band quer über seinem Gesicht und die Hände, die seinen Hals zudrückten. Was für eine Frechheit. Das war schon jenseits von Frechheit. Es war wie ein Stein im Schuh, der ihn bei jedem Schritt störte. Er durfte es nicht zulassen. Er musste den Namen des Mannes und der Frau erfahren, die ihm das angetan hatten.
Selbstverständlich arbeiteten sie für die USA. Li Pings Verhaftung war der Beweis dafür. Aber sogar seine beiden besten Informationsquellen, zwei ehemalige CIA-Agenten, die nun eine PR-Agentur in Reston leiteten, waren nicht imstande gewesen, das Geheimnis rund um die China-Sache zu lüften. Jeden Morgen nagte die Frage an Kowalski. Dann fand Anatoli Tarasow, ein ehemaliger KGB-Agent, der seinen Sicherheitsdienst leitete, die Antwort.
»Wir wollen wissen, wer dich in East Hampton überfallen
hat. Warum fragen wir dazu in Washington nach? Sprechen wir doch lieber mit der Polizei in East Hampton.«
Kowalski wusste, dass Tarasow recht hatte. Es hätte ihnen schon früher auffallen müssen. Selbstverständlich war die Polizei informiert. Warum war sie ansonsten in jener Nacht so spät bei seinem Haus aufgetaucht? Warum hatten sie nicht stärker darauf gedrängt, dass er und seine Männer im Land bleiben mussten, bis die Untersuchung abgeschlossen war.
»Ich meine nicht, dass du sie direkt fragen sollst …«
»Ich verstehe schon, Anatoli.«
Und nachdem ein Privatdetektiv aus Long Island zwei Tage lang mit Cops in deren Freizeit Bier getrunken hatte, fand er die Antwort, die Kowalskis teure Informanten in Washington nicht in Erfahrung hatten bringen können. »Nicht zu fassen. Wirklich? Er war hier in der Stadt?«
Der Detektiv gab den Namen an den Anwalt in Queens weiter, der ihn angeheuert hatte. Von Queens sprang die Information über den East River in eine renommierte Anwaltskanzlei in Manhattan, machte eine Kehrtwendung, kreuzte den Atlantik und landete im Büro eines Ermittlungsbeamten in Genf. Erst auf diese Weise sorgfältig weiß gewaschen, erreichte John Wells’ Name Kowalskis Château in Zürich.
Kowalski hörte, wie sich leise Schritte näherten, und drehte sich genau in dem Augenblick um, als Tarasow hereinkam. Der Russe war mittelgroß und gedrungen und hatte die gebrochene Nase und die breite Brust eines Halbschwergewichts, die er gern in eng geschnittenen weißen Hemden zur Schau stellte. Vor allem wenn er betrunken war, hatte er ein sehr aufbrausendes Temperament. Kowalski hatte einmal
gesehen, wie er den Türsteher eines Moskauer Klubs beinahe zu Tode geprügelt hatte, weil dieser seine Freundin zu lange angesehen hatte. Als Leiter seines Sicherheitsdienstes war er ausgezeichnet, und Kowalski zahlte ihm auch genug, um sich seiner Loyalität zu versichern.
»John Wells«, sagte Tarasow. »Es tut mir sehr leid, dass ich ihn nicht getroffen habe.« Tarasow war in Zürich geblieben, um sich um das Anwesen zu kümmern, solange sich Kowalski in den Hamptons aufhielt.
»Mir auch, Anatoli.«
»Was soll ich tun?«
Kowalski schüttelte den Kopf. Er konnte John Wells unmöglich verfolgen. Und doch. Nein. Das war Wahnsinn.
Tarasow stand neben Kowalski. Gemeinsam blickten sie auf den ruhigen See hinaus. Tarasow schob den Kopf vor und runzelte seine eingeschlagene Nase wie ein Pitbull, der von der Leine gelassen werden wollte. »John Wells«, wiederholte er.
»Und die Frau? Wer war sie?«
»Das weiß ich noch nicht. Zweifellos auch von der Agency. Wir werden es noch herausfinden.«
»Würdest du mich als einen Mann bezeichnen, der Wort hält, Anatoli?«
»Selbstverständlich«, sagte Tarasow.
Kowalski zog die Schreibtischlade auf, in der er seine persönliche Pistole aufbewahrte, eine Glock 19. Einfach, wirkungsvoll,
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