der Zeremonie wartete. Sechs Personen saßen unter einem Baldachin, fünf Frauen und ein Mann, alle über achtzig. Der Mann war jämmerlich dünn, seine Unterarme so hager wie abgekaute Maiskolben. Zweiter Weltkrieg, vermutete Wells.
Jenseits des nächsten Hügels stießen sie auf ein weiteres Zelt. Diesmal überstieg die Menge das Platzangebot unter dem Sonnendach. In der ersten Reihe klammerten sich zwei Kinder an eine Frau, die ein langes schwarzes Kleid trug. Die Frau blickte auf den Sarg vor sich, ihr Körper vor Kummer erstarrt. Irak? Afghanistan? Wie viele Kinder würden in diesem Jahr nach Arlington kommen, fragte sich Wells. Und wie viele im nächsten Jahr? Und im Jahr darauf? Und wie würde die Geschichte jene Anführer beurteilen, die ihre Eltern in den Tod geschickt hatten?
Schließlich fanden sie das richtige Grab. Greg Hackett. Der junge Sergeant, der auf dem Felsplateau in Afghanistan verblutet war. Gregory Adam Hackett. Er war bei der Erfüllung seiner Pflicht ehrenhaft gestorben. Das war mehr, als die meisten Männer sagen konnten.
Auf jeden Fall mehr als Pierre Kowalski, dachte Wells. Während der letzten vier Wochen, in denen seine Rippen
verheilt waren, hatte er immer wieder über den Waffenhändler nachgedacht. Ein Teil von ihm hoffte, dass er Kowalski eines Tages wiedersehen würde, um das schmutzige Geschäft des Mannes endgültig zu zerschlagen. Aber es würde einen anderen Kowalski geben, und noch einen, solange es Männer gab, die nach Land, Geld oder Macht strebten.
Also für immer.
Außerdem war er nicht hierhergekommen, um über Kowalski nachzudenken. Er wollte sich an Hackett erinnern. Stattdessen glitt sein Geist seitwärts zu dem Taliban, dem er in der Nacht, in der Hackett starb, das Hirn aus dem Kopf gepustet hatte. Er sah deutlich vor sich, wie der Schädel des Mannes splitterte, als wäre er in Afghanistan und nicht in Virginia, als würde er die Nacht nochmals durchleben. Er schloss die Augen und sank zu Boden.
Ihm war es so leicht gefallen, den Taliban zu vernichten, wie der Durchschnittsbürger eine Fliege totschlug. Er hatte so viele Menschen getötet, dass das Töten schon automatisch ging, wie ein Reflex. Erst nachdem alles vorüber war, erkannte er mit Entsetzen, was er getan hatte. Erst jetzt.
Wells wünschte, dass er weinen könnte. Aber er weinte nie. Stattdessen legte er den Kopf auf die Erde, schloss die Augen und betrachtete den Film über all jene Männer, die er getötet hatte, und der sich jetzt in seinem Geist wie auf einer Leinwand abspulte. Vergib uns, denn wir wissen nicht, was wir tun.
»John.« Als er fühlte, wie sich Exleys dünne Arme um ihn schlangen, hob er den Kopf und zwang sich, die Augen zu öffnen.
»Ich weiß nicht, ob ich es je wieder tun kann.«
»Du musst es nicht tun, John. Du kannst jederzeit aufhören.«
Doch noch ehe Exleys Worte über den Friedhof emporstiegen, nach Süden zum Pentagon schwebten und zurück in seine Vergangenheit, und noch ehe sie sich mit allem vereinten, was je geschehen war, und mit allen, die je gelebt hatten oder gestorben waren an einem Ort, den es nie gegeben hatte … … wusste Wells, dass sie Unrecht hatte.
Er würde nie aufhören.
Danksagung
Während meiner Büchertour für Kurier des Todes – den Vorgänger dieses Romans – hatte ich das Glück, in Boston die reizende und talentierte Dr. Jacqueline Basha kennenzulernen, eine wundervolle Frau und wundervolle Leserin. Ohne Jackie würde es John Wells – und seinem Schöpfer – deutlich schlechter gehen.
Ich danke auch:
Meinem Bruder David, der bei der Entwicklung der Geschichte dabei war. Neil Nyren, dessen Vorschläge immer genau den Punkt trafen. Heather Schroder, die keine Angst davor hat, für ihre Autoren zu kämpfen. Deirdre Silver, eine sorgfältige und nachdenkliche Leserin.
Mark Tavani und Jon Karp, die John Wells schon kannten, als er noch einen anderen Namen trug. Larry Ingrassia und Tim Race, meinen Redakteuren bei der New York Times, die mir mehr freie Tage gewährten, als mir zustanden.
Und nicht zuletzt allen Lesern, die mir E-mails geschrieben haben (
[email protected]), um mir zu sagen, wie gut (und in einigen wenigen Fällen auch wie schlecht) ihnen Kurier des Todes gefallen hat. Es ist nicht leicht, ein Buch zu schreiben, aber nur das Wissen, dass es Menschen gibt, die es tatsächlich lesen – und denen es wichtig genug ist, um zu antworten – ist all die Mühe wert.
Die Originalausgabe THE GHOST WAR
erschien