JoJo Und Ich
trennen.«
Mieden seine Freunde diese Gewässer mittlerweile? Und wenn ja, warum?, fragte ich mich auch noch, als ich zu meiner kleinen Bude zurückging, die auf einer Hügelkuppe lag. Ich hielt diese Gedanken in meinem Tagebuch fest und schlief in der Nacht sehr unruhig.
Viel Zeit zum Nachdenken blieb mir allerdings nicht, als ich meinen Job als Tauchlehrer antrat und feststellte, dass die dreihundertfünfzig Quadratkilometer Wasserfläche und Riff rings um dieses Land noch gänzlich unerforscht waren. Was da für Abenteuer warteten! Lauter völlig unberührte Korallenriffe, eine Unterwasserwelt, die sich mit all ihren Schätzen noch im Naturzustand befand.
Mein Traum ging in Erfüllung, und dabei war ich gerade erst Anfang zwanzig.
Mein Tagesplan sah meist zwei Tauchgänge am Vormittag vor, und nachmittags übte ich dann mit den Anfängern im flachen Wasser. Menschen mit dem flüssigen Licht dort unten bekannt zu machen, das die meisten sich bis dahin nur in der Fantasie ausgemalt hatten, lag mir. Und ich staunte immer wieder, wie sehr mir diese Menschen vertrauten, wenn ich sie in die Unterwasserwelt einführte.
Vor dem ersten Abtauchen sagte ich den Teilnehmern meiner Kurse: »Haltet euch bitte vor Augen, dass die Kraft des Meeres aus unzähligen sehr empfindlichen Lebewesen besteht. Denkt also beim Tauchen und Schnorcheln immer daran, dass es eine verletzliche Welt ist, und fasst nur etwas an, wenn ich ein Zeichen dazu gebe.«
Wie ich feststellte, überwanden die Leute ihre natürlichen Ängste bei der Umgewöhnung auf das Atmen unter Wasser leichter, wenn ich ihnen etwa ein kleines zartes Krebschen in die Hand gab und sie es eine Weile halten durften. Es war die erste wirklich wichtige Lektion beim Tauchen und Schnorcheln: Achtet bitte darauf, wie empfindlich und verletzlich die Welt ist, in die ihr jetzt eintretet. Erst später sollten sie mit der ganzen Kraft dieser Welt Bekanntschaft schließen.
Wenn ich dann meinen letzten Schüler verabschiedet hatte, war es Zeit für mein tägliches Ritual: Ich schwamm die Küste bis zu einem Punkt knapp zwei Kilometer westlich des Hotels ab und suchte meine drei Delfinfreunde. Aber ich hatte schon seit Wochen keinen mehr von ihnen gesehen, und immer mehr Sorgen schlichen sich in die Gedanken ein, die ich meinem Tagebuch anvertraute.
Einmal saß ich mit ein paar anderen Tauchlehrern unter einem Sonnenschirm und mampfte Kartoffelchips, als das Gespräch eine fast düstere Wendung nahm.
»Habt ihr schon von dem verrückten Delfin gehört, der sich hier in der Nähe des Hotels herumtreibt?«, fragte Daniel in seinem schnarrenden kanadischen Tonfall. »Angeblich greift er wie ein Hai an – ohne jede Vorwarnung.« Er beugte sich vor, und seine massige Gestalt nahm fast den halben Tisch ein. »Einem Einheimischen soll er sogar einen Finger abgebissen haben.«
»Ja, davon habe ich gehört«, bestätigte Lisa, die Augen zu schmalen grünen Schlitzen verengt. »Aber ich glaube nicht, dass er wirklich bissig ist, wie sie alle sagen. Das ist einfach dieses Inselgarn.«
»Meine Liebe«, wandte François mit seinem französischen Charme ein, den er stets für die Damen bereithielt, »jedes Gerücht hat einen wahren Kern. Und wenn so viele davon reden, wird an den Geschichten schon irgendetwas dran sein. Doch keine Sorge, liebe Freundin, ich bin ja da und kann dich jederzeit retten.«
»Da bin ich aber beruhigt«, schnaubte Lisa, verdrehte die Augen und warf ihr kurzes braunes Haar zurück.
Wir lachten. Lisa brachte bestimmt zehn Kilo mehr auf die Waage als der eher drahtige François, und im Fall der Fälle würde die Rolle des Retters vermutlich eher ihr zufallen. François’ pikierter Blick löste die nächste Lachsalve aus. Die Vorstellung, wie der hagere kleine Franzose seine Arme schützend um die dralle Lisa schlang, um sie an Land zu schleppen, war aber auch zu komisch.
Daniels Lachen endete in einem: »Darauf trinken wir noch ein Bier. Barkeeper, noch eine Runde!« Er knallte seinen Krug auf den Tisch und lehnte sich mit verschränkten Armen und einem leicht beschwipsten Grinsen zurück.
Ich blickte von einem zum anderen. So verschiedene Menschen, und jeder aus ganz eigenen Gründen hier. Daniel, der nette Kanadier mit der Herkulesgestalt und dem munteren Wesen, wollte es sich einfach nur gut gehen lassen. Nichts anderes interessierte ihn, und er ließ es auch jeden wissen, der ihn in ein ernsthaftes Gespräch verwickeln wollte. François dagegen war es um den
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