Joli Rouge (German Edition)
dass Michel
Le Basque das Boot versenken ließ, war ihr neu.
»Ihr habt eine starke Vergangenheit.« Mit einem Mal fühlte
sich Jacquotte dazugehörig. Émile, Jérôme, Tête-de-Mort, sie
alle waren Teil ihres Lebens. Die Bruderschaft war Teil
ihres Lebens.
In diesem Moment brachen die Spanier durch ein Versteck zu
ihrer Rechten. Jacquotte sah einige Flibustier davonstürmen,
während andere von dem einsetzenden Kugelhagel durchsiebt
wurden. Sie duckte sich, um Deckung zu suchen, doch der
Mangel an vorausschauender Führung ließ die Männer von
L’Olonnais kopflos reagieren. Ehe sie sich versah, wurde sie
zu Boden gestoßen. Panisch Flüchtende überrannten sie,
drückten ihr die Luft aus den Lungen und nahmen ihr die
Orientierung. Nur mit Mühe gelang es Jacquotte, sich wieder
auf die Beine zu kämpfen. Um sie herum waren die Flibustier
bereits ineinander verkeilt. Für ihre Pistolen gab es kaum
Verwendung, daher griff Jacquotte gleich zu Machete und
Säbel. Mit unsicheren Schritten parierte sie eine
Angriffswelle, bevor sie an Boden gewann. Alles verschwand
im weißen Nebel des Pulverdampfs. Die angreifenden Spanier
verschwammen zu einer gesichtslosen Masse. Wer die Arme
gegen sie hob, musste sterben. Keuchend hielt Jacquotte die
Stellung. Die Spanier schienen überall zu sein. Eingeklemmt
zwischen Körpern, hieb und schlug sie sich ihr Blickfeld
frei. Der Boden war bereits übersät mit Verwundeten, und sie
wusste, dass es ihr Tod war, sollte sie fallen. Instinktiv
zog sie den Kopf zurück und spürte eine Klinge ihren Hals
streifen. L’Olonnais‘ hasserfüllte Augen blitzen sie an,
bevor sie gegen den nächsten Spanier antreten musste. Sie
fuhr herum und bemerkte Pierre, der in ihrer Nähe kämpfte.
Sie arbeitete sich zu ihm vor und gab Acht, dass er sie
nicht versehentlich traf, bevor sie sich gegenseitig Deckung
gaben. Rücken an Rücken hielten sie dem Ansturm stand. Als
die Angriffe abebbten und die Spanier sich zurückzogen,
offenbarte sich ihnen das wahre Ausmaß des Verlustes. Im
Sterben Liegende wanden sich zwischen Toten und
Verstümmelten. Jacquotte und Pierre stiegen über ihre
Männer, suchten verzweifelt nach Überlebenden und zogen
Verwundete an den Rand des Schlachtfeldes. Gerade als
Jacquotte innehielt, um nach weiteren Männern Ausschau zu
halten, die Hilfe benötigten, bemerkte sie L’Olonnais. Er
stand inmitten der Opfer und starrte sie an. Langsam zog er
seinen Daumen von der einen Seite seiner Kehle zur anderen.
Jacquotte griff an ihren Hals und spürte das warme Blut. Er
lächelte.
»
Mordieu! Les bougres d’espagnols me le payeront
!«, schrie
er dann. »Bringt mir die spanischen Überlebenden!«
»Nicht nur die Spanier werden für diese Tat büßen, wir
ebenso.« Pierre trat an Jacquotte heran. Sie wandte den Kopf
und betrachtete sein Profil. Es gab nicht viel, was ihr
geblieben war, und die Hartnäckigkeit, mit der er ihr zur
Seite stand, rührte sie. Es hatte Zeiten gegeben, da hatte
sie sich für ihre Gefühle geschämt, doch je näher ihr
Aufeinandertreffen mit L‘Olonnais rückte, desto mehr besaß
sie den Mut, sie zuzulassen.
Die nächsten Tage durchlebte Jacquotte wie in Trance. Die
Erstürmung der Stadt San Pedro, die blutigen Kämpfe und die
Plünderungen zogen an ihr vorüber, denn sie hatte alles
bereits viele Male zuvor erlebt. Der erbitterte Widerstand
der Spanier, ihr nicht enden wollender Kanonenbeschuss, das
Geschrei der Verwundeten. Sie stellte sich jeder
Herausforderung und wartete im Inneren nur auf das eine
Zusammentreffen, das ihr Schicksal besiegeln sollte. Aber
L’Olonnais hielt sich von ihr fern. Wie auch in Maracaibo
beugten sich die Spanier schließlich dem grimmigen Ansturm
der Flibustier und ließen das Unheil in ihre Stadt. Doch
diese barg zur großen Enttäuschung aller kaum Reichtümer,
und so entlud sich L’Olonnais‘ Wut anderweitig. Nur wenige
Bewohner entkamen Gewalt, Folter und Tod, und nach einer
Woche der Ausbeutung brannte L’Olonnais die gesamte Stadt
nieder und zog mit seinen verbliebenen Männern ab.
Als sie die Küste erreichten, fühlte sich Jacquotte so
ausgezehrt wie niemals zuvor in ihrem Leben. Die Gefechte
und die stete Vorsicht raubten ihr den Schlaf und zermürbten
sie. Sie wünschte sich, L’Olonnais öffentlich zum Kampf
herausfordern zu können, aber das hätte nicht nur die
Kapitäne, sondern auch die Männer der Mannschaften
gegeneinander
Weitere Kostenlose Bücher