Joli Rouge (German Edition)
Vauquelin zur Seite.
»Was geht nun schon wieder in Eurem kranken Kopf vor sich?
Seit beinahe drei Monaten kreuzen wir im Golf. Eure
Kaperfahrt ist eine
farce
! Jeder, der Verstand hat, sieht
das. Wollt Ihr uns alle wegen Befehlsverweigerung
erschießen, weil es uns zurück in die Heimat zieht?«
Er parierte einen Schlag des Olonnaisen und stieß ihn von
sich. Bigford, Pierre und Jacquotte liefen herbei.
L’Olonnais musterte jeden Einzelnen und spuckte verächtlich
aus.
»Ihr seid feiger als die Spanier!«
»Es ist vorbei, L’Olonnais. Ich nehme Kurs auf die Île de
la Tortue«, sagte Moïse Vauquelin.
»Ich werde Euch in die Heimat folgen.« Der Baske hielt
seinen Säbel immer noch gegen L’Olonnais gerichtet.
»Ich ebenso«, erklärte Bigford rasch und warf Jacquotte
einen Seitenblick zu. Die Erleichterung stand ihm ins
Gesicht geschrieben. Erste beschwingte Rufe machten sich
unter den Besatzungen breit.
L’Olonnais‘Blick heftete sich auf Pierre. »Was ist mich
Euch, Picard?«
»Wie der Baske bereits sagte. Es ist vorüber, L‘Olonnais!«
»Nun denn!« Ganz offensichtlich genoss er die Situation
und trat zu Jacquotte. »Dann machen wir es unter uns aus,
nicht wahr, Antoine?«
Jacquotte roch das verdorbene Wesen von L’Olonnais. Es
war, als ströme er den Verfall seiner Seele aus, die
Schlechtigkeit seiner Gedanken und die Grausamkeit, die
seine Hände tagtäglich verübten. Er war ihr Feind, ihr
größter Widersacher und vielleicht ihr Tod. Sie begegnete
dem Blick des Basken und dachte an seine Worte.
»Ich gebe Euch wegen Eures schweren Schiffes einen
Vorsprung, L‘Olonnais. Aber seid gewiss, dass ich Euch
einholen werde.« Ihre Stimme klang fest und sie war
verwundert, dass sie keine Angst verspürte.
Ungläubiges Gemurmel ging durch die Reihen der Flibustier.
Beschwichtigend hob Jacquotte die Hände. »Ich entbinde jeden
meiner Männer von seinem Eid, mir auf dieser Kaperfahrt zur
Seite zu stehen. Wer die
La Poudrière
verlassen möchte, um
auf einem der anderen Schiffe in die Heimat zu segeln, dem
steht diese Entscheidung frei«, rief sie in das
Durcheinander.
L’Olonnais fletschte seine Zähne. »Du segelst in den Tod«,
raunte er ihr zu.
»Du ebenso!«
Kapitel 12
Golf von Darién, Frühling 1668
Das Schiff des Olonnaisen lag leckgeschlagen in der
Brandung. Die Wellen schlugen schwerfällig gegen den Rumpf,
und die eingerollten Segel hingen wie verwundete Vögel in
den Tauen. Jacquotte beobachtete die verlassene Küste.
Dichte Wolken hinderten die tief stehende Sonne daran, ihre
letzten Strahlen im Meer zu versenken und schickten sie
stattdessen in den schwefelgelben Himmel, während sich das
Wasser eisgrau verfärbte. Die tiefgrüne Vegetation am Rande
der Lagune sah bedrohlich aus und bewegte sich im böigen
Wind. Tagelang war sie dem unsteten Kurs von L’Olonnais
gefolgt und hatte ihn schließlich aus den Augen verloren,
nur um das Wrack seines Schiffes nach ermüdender Suche an
diesem unwirklichen Küstenabschnitt wiederzufinden. Er hatte
das Spiel zu gerne aufgenommen und ihr das Gefühl gegeben,
die Jägerin zu sein, doch Jacquotte wusste, dass er nur
darauf gewartet hatte, sie hochzunehmen. Sie lächelte. Ihr
Einfallsreichtum war ihm zum Verhängnis geworden. Es grenzte
an Ironie, dass ausgerechnet der Baske sie dazu inspiriert
hatte. Seine Geschichte über die Silbergaleone war der
Anreiz gewesen, um ihre eigene List zu spinnen. Sie konnte
sich nicht erlauben, dass L’Olonnais sie auf hoher See mürbe
machte. Einem offenen Kampf gegen sein schwer bewaffnetes
Schiff hätte die
La Poudrière
nicht standgehalten. Nicht mit
der kümmerlichen Besatzung, die ihr noch zur Seite stand.
Deshalb hatte sie einen ihrer treuesten Männer damit
beauftragt, einige Löcher in den Rumpf des Verladeschiffes
zu bohren. Diese Mission war nicht ungefährlich, denn es
erforderte, dass der Beauftragte an Bord des Olonnaisen ging
und gemeinsam mit ihm ablegte. Lange Zeit hatte Jacquotte
nicht gewusst, ob ihre Idee von Erfolg gekrönt war, doch mit
einem Mal war der Olonnaise verschwunden gewesen.
Vor ihrem Aufbruch hatten ihr die Kapitäne den Untergang
prophezeit. Zwar ließ es sich keiner nehmen, vor ihr zu
salutieren und sie mit einem »
Vive les gens de la côte
!«
ziehen zu lassen, aber in ihren Gesichtern hatten sich die
Zweifel widergespiegelt. Sie glaubten nicht daran, Antoine
Du Puits jemals wieder zu sehen. Eine
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