Jones, Diana Wynne
Brot, das sie noch hatten, war altbacken. »Na, das schmeckt aber komisch!«, rief Kialan und schob seine Portion auf dem Teller hin und her.
Leninas Gesicht, in dem sich selten Regungen zeigten, erstarrte vollends. »Ich hatte eigentlich Brot und Zwiebeln in Derent kaufen wollen«, sagte sie, »aber dazu blieb uns keine Zeit.«
Ein unbehagliches Schweigen folgte, dann sagte Clennen: »Hör zu, mein Junge, du wirst über hundertfünfzig Meilen mit uns reisen. Findest du nicht auch, dass man da gegenseitig ein wenig Nachsicht üben sollte? Ich möchte nur ungern eine gute Quidder an deinem Dickschädel zerbrechen.«
Die Sonne ging langsam unter und tauchte alles in rotes Licht. Moril glaubte aber, dass nicht nur der Sonnenuntergang für Kialans Gesichtsfarbe verantwortlich war. Ihr Begleiter gab jedoch keine Antwort. Er ließ sich schweigend etwas Wein einschenken und trank ihn, aber erst viel später ergriff er wieder das Wort. Bis dahin war Clennen vom Wein recht fröhlich geworden. Im Feuerschein strahlte er übers ganze Gesicht, lehnte sich ans Wagenrad und forderte Dagner auf, sein neues Lied vorzutragen.
»Es ist noch nicht ganz fertig«, antwortete Dagner. Doch da es kein öffentlicher Auftritt war, holte er bereitwillig seine Quidder und spielte eine Melodie, die Moril für sehr viel versprechend hielt. Ohne eine Spur von Herzklopfen trug er dazu halb sprechend, halb singend den Text vor:
»Komm mit mir, oh, komm mit mir.
Die Amsel ruft: ›Oh, folge mir.‹
Niemand soll’s wissen, niemand soll’s sehn,
Wohin du gehst, da will auch ich hingehn.
Komm mit mir, der Morgen zieht herauf,
Am Himmel hoch ziehn milch’ge Wolken auf
Der Mond ist bleich wie weißer Stahl,
Die Lerchen singen überall im Tal.
Es scheint die Sonn, so folg mir nun,
Die Straße lang, wir wollen’s heimlich tun,
Die Straße lang, den Berg ersteigen,
Wo Wasser fließt und Wälder schweigen.«
»Und dann die ersten vier Zeilen noch einmal«, sagte Dagner und blickte Clennen an.
»Nein«, entgegnete Clennen. »So geht das nicht.«
»Nun, unbedingt nötig sind sie wohl nicht«, sagte Dagner bescheiden.
»Ich meine, das ganze Lied geht so nicht«, erklärte Clennen.
Dagner sank in sich zusammen. Nur Kialan konnte sich nicht verkneifen, entrüstet zu fragen: »Warum? Ich fand, das war ein fröhliches kleines Lied.«
»Die Melodie ist soweit schon ganz nett«, sagte Clennen. »Aber warum willst du sie mit solchen Worten verderben?«
»Es sind doch auch fröhliche, nette Worte«, beharrte Kialan. »Mir haben sie gefallen.«
»Das sind die Worte, die mir zu der Melodie zu passen scheinen«, sagte Dagner zaghaft.
»Ich verstehe«, sagte Clennen. »Wenn das so ist, solltest du sie nicht mehr aussprechen, bevor wir im Norden sind – es sei denn, du möchtest, dass man uns für Rebellen hält.«
Dagner versuchte, sich zu erklären. »Aber ich… darum geht es doch nicht. Ich wollte nur sagen, wie gern ich im Wagen reise … und so weiter.«
»Das wolltest du?«, fragte Clennen. »Hast du denn nie die Lieder gehört, wie sie hier die Freiheitskämpfer vor dem Aufstand gesungen haben? Sechzehn Jahre ist das jetzt her, du bist im gleichen Jahr geboren worden. Sie haben es nie gewagt, ihre Ansichten offen auszusprechen, deshalb verschlüsselten sie sie in ihren Liedern … ›Folge der Lerche‹ hieß eins ihrer Lieder, ›Frei und heimlich wie die Luft‹ ein anderes, und das bekannteste war ›Komm hoch mit mir ins Tal‹. Die Grafen hier im Süden knüpfen noch immer jeden vom Fleck weg am nächsten Baum auf, wenn er solche Worte singt.«
»Und ich finde das noch immer lächerlich!«, begehrte Kialan auf. »Warum können die Menschen hier denn nicht singen, was sie wollen? Was ist denn hier nur los?«
Brid und Moril blickten ihm aufmerksam in das vom Feuerschein erhellte Gesicht. Sollte Kialan etwa ein Freiheitskämpfer sein? Durchaus möglich, und wenn, dann hätten sie ihm einiges verziehen. Clennen grinste ihn nur an.
»Ich hoffe sehr, in diesem Stechginster hockt niemand, der dich hören kann«, sagte er. Kialan riss den Kopf herum und spähte in den nächsten aufragenden Busch. »Siehst du? Jetzt kennst du nach nur einer Lektion den Grund, Junge. Hier traut keiner keinem mehr. Das kommt davon, wenn ruhelose Herrscher unruhige Menschen bezahlen, dem Rest die Ruhe zu rauben. So ist es aber nicht immer gewesen. Dagner, was habe ich gesagt, bevor wir nach Derent kamen?«
Dagner war völlig zerknirscht über sein
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