Jones, Diana Wynne
den Rücken, entspannte sich aber sofort wieder, als er sah, dass es nur Mitt war. Mitt ging die Stufen hinunter, ohne ein Wort an ihn zu richten. Es war ihnen tatsächlich ernst – er sollte das Mädchen wirklich umbringen. Selbst die Gräfin hatte ihn wegen seiner Frechheiten nicht zurechtgewiesen.
Ihm zitterten die Knie, als er auf den Hof hinaustrat. Vor Scham hätte er am liebsten geweint. Am meisten zugesetzt hatte ihm die Art, wie Keril gemurmelt hatte: »O ja, ich glaube bestimmt, dass er das ist!« – er glaubte bestimmt, dass Mitt ein Gossenbengel war, ein Südländer ohne Gefühle, die erste Wahl, wenn ein Graf eine schmutzige Aufgabe zu erledigen hatte. Mitt hatte solch einen Menschen gekannt und geschworen, niemals so zu werden, doch was kümmerte die beiden das!
Jemand rief ihm quer über den Hof etwas zu.
Dort stand eine Gruppe von Leuten. Graf Kerils Sohn Kialan gehörte zu ihnen, und die anderen winkten Mitt herbei, er solle zu ihnen kommen. Mitt hatte sich eigentlich auf die Begegnung mit Kialan gefreut, doch nun war ihm der Gedanke unerträglich, mit Kerils Sohn auch nur ein Wort zu wechseln. Er duckte sich und versuchte, sich an der Mauer entlang davonzustehlen.
»Mitt!«, rief Alla, die Tochter der Gräfin, die bronzefarbenes Haar hatte. »Kialan möchte dich kennen lernen!«
»Er hat so viel von dir gehört!«, rief Doreth, ihre Schwester, deren Haar die Farbe von Kupfer hatte.
»Ich kann nicht! Dringender Auftrag! Tut mir Leid!«, rief Mitt zurück. Auch den Töchtern mochte er nun nicht begegnen. Alla hatte die Nase über ihn gerümpft, weil er sosehr darunter gelitten hatte, als man Hildi auf die Rechtsakademie sandte, bis Mitt wütend wurde und sie an ihrem Bronzehaar gezogen hatte. Daraufhin hatte Doreth ihn bei der Gräfin verpetzt. Mitt war recht erstaunt gewesen, dass man ihn nicht ebenfalls umgehend fortgeschickt hatte. Doch in Wirklichkeit hatten sie an seiner Reaktion gesehen, dass ihm durchaus nicht gleichgültig war, was aus Hildi wurde. Lodernder Ammet! Die Gräfin und Keril mussten die Tat schon seit Monaten geplant haben!
Kialan rief nun selber: »Dann sehen wir uns später!« Mitt erhaschte einen Blick auf ihn, wie er winkte. Er hatte lohfarbenes Haar und war untersetzt – er sah ganz anders aus als sein Vater. Ganz gewiss aber unterschied er sich letzten Endes doch nicht von dem Grafen – nicht tief in seinem Innern, wo es wirklich zählte. Mitt senkte den Kopf und hetzte an der Mauer entlang; er fragte sich, ob auch Kialan ihn als schmutzigen südländischen Gossenbengel betrachtete. Kialan sah jedenfalls viel strähniges Haar, zwei spindeldürre Beine und Schultern, die für den restlichen Körper zu breit waren. Mitt hielt sein Gesicht zur Wand gedreht, weil es das Verräterischste an ihm war – eine Gossenbengelvisage, die auch nach zehn Monaten bei gutem Aberather Essen ausgehungert aussah. Er sagte sich, dass Kialan nicht viel verpasse, wenn er dem Grafensohn auswich.
Er schob sich durch die nächste Tür, durchquerte eilig Zimmer und Korridore, kam am anderen Ende des Herrensitzes heraus und rannte zu dem langen Schuppen, der oberhalb des Hafens auf dem Steilhang stand. Zum Alleinsein eignete sich der Schuppen heute ideal. Die Leute, die dort normalerweise arbeiteten, mussten sich um Kerils Gefolge kümmern oder hatten mit den Vorbereitungen für das Mittsommerfestmahl alle Hände voll zu tun. Und ausgerechnet Mitt würde das Festmahl versäumen. Hildi hatte einmal gesagt, genau das sei das Elend: Immer mischten sich alberne Kleinigkeiten in die wirklich wichtigen Dinge. Wie Recht sie doch hatte.
Mitt schob die Rolltür ein Stück zur Seite und schlüpfte hinein. Jawohl, alles verlassen. Mitt sog den fischigen Geruch nach Kohle, Tran und feuchtem Metall ein. Er unterschied sich nicht sehr vom Brodem des Holander Hafens, wo er aufgewachsen war. Und dort hätte ich genauso gut auch bleiben können!, dachte er und folgte mit dem Blick den eisernen Gleisen auf dem Boden, wo sich die Sonne rot in Teerpfützen spiegelte oder in Öllachen Regenbögen erzeugte. Er fühlte sich in die Falle gelockt, als Opfer einer Intrige, die er nicht einmal bemerkt hatte, bevor sie heute am frühen Abend zugeschnappt war. Jeder hatte ihm versichert, die Gräfin behandele ihn fast schon wie ihren eigenen Sohn. Mitt hatte darauf zwar stets spitzzüngige Antworten gegeben, gleichzeitig aber angenommen, dass man im Norden Flüchtlinge aus dem Süden eben gut behandle.
»Wie konnte
Weitere Kostenlose Bücher