Jones, Susanna
gefrieren ließ. Teiji und Lily standen sich so nah, dass er an ihrem Eis lecken konnte, ohne dass sie es ihm angeboten
hätte. Sie waren so vertraut miteinander, dass Lily Teijis Taschentuch mit geschmolzenem Eis voll schmieren konnte, ohne die Notwendigkeit zu verspüren, danke zu sagen oder sich zu entschuldigen. Lucy starrte und starrte und wartete. Sie wollte etwas sehen, das ihr beweisen würde, dass sie sich irrte, obwohl sie wusste, dass sie sich nicht irrte.
Teiji gab Lily das Eis zurück. Lily nahm es. Teiji betrachtete die vorüberfahrenden Autos. Lily sah zum Himmel auf und schloss dann die Augen, das Gesicht weiterhin nach oben gerichtet. Teijis Taschentuch lag noch immer zusammengeknüllt in ihrer Hand. Sie kannten sich kaum. Sie hätten höfliche Konversation machen müssen, aber sie schwiegen. Lucy begriff. Ihre Unbefangenheit sprach Bände. Sie hatte sich doch geirrt. Sie hatten bereits miteinander geschlafen.
Ich ging weg. Ich lief durch die Gassen, immer schneller und schneller, bis ich mich verlaufen hatte. Wann war es passiert? Es konnte am vorigen Morgen gewesen sein, während Lucys Strandspaziergang, oder später oben auf der Klippe, während sie weggetreten gewesen war, oder auf irgendeinem Hügelhang, nur ein paar Mopedminuten von ihr entfernt. Vielleicht war es in der ersten Nacht passiert, als Lily auf dem mittleren Futon geschlafen und Lucy im Traum mit dem Meer geschaukelt hatte. Oder es konnte heute Morgen passiert sein, in einer verschwiegenen Gasse zwischen den Häusern. Ich ging in eine öffentliche Toilette und versuchte zu weinen, aber es passierte nichts. Als ich wieder herauskam, lief ich ihnen direkt in die Arme.
Ich lachte laut los.
«Lucy, so ein Glück. Wir waren grad auf dem Weg zu unserem Treffpunkt.»
«Ja, so ein Glück.» Ich lachte wie eine Hyäne. Sie lachten auch, in der Annahme, ich freute mich kindisch über unsere zufällige Begegnung, obwohl es nur fünf Minuten vor der verabredeten Zeit war und knapp dreißig Meter vom eigentlichen Treffpunkt entfernt.
Ich verschluckte mich an meinem Atem und hustete. Irgendwie schaffte ich es, die krampfartigen Zuckungen in meiner Brust zu beruhigen.
«Und was machen wir jetzt? Es gibt so viel zu besichtigen, so viel, was man tun kann. Verlieren wir keine Zeit. Kommt.»
Sie folgten mir skeptisch. «Wo gehen wir hin?»
«Ich weiß nicht. Es gibt in jeder Richtung etwas, lassen wir uns also einfach überraschen. Wir können gar nicht in die falsche Richtung gehen, oder? Außer es stellt sich heraus, dass die Erde flach ist, und wir fallen über den Rand. Ha ha ha.»
«Lucy, wovon redest du eigentlich?»
Ich hängte mich bei Teiji ein. «Ich weiß nicht. Was wollt ihr machen? Was habt ihr schon gemacht?»
Lily antwortete. «Ich hab mir den Kokubunji angesehen. So einen großen Tempel. Er ist schön. Vielleicht möchtet ihr beide ihn euch auch ansehen.»
Ich sah Teiji verwundert an. «Du hast ihn dir nicht angesehen?»
«Ich bin runter ans Meer, ein paar Fotos machen. Später sind wir uns zufällig über den Weg gelaufen und haben ein Eis gegessen.»
«Ah.»
Fest bei Teiji untergehakt und mit dieser neuen Information versehen, fühlte ich mich schon besser. Was hatte ich schließlich gesehen? Keinen Kuss, keine Berührung, kein trauliches Gespräch. Keinen Austausch von Blicken, sei's innigen, sei's anzüglich lächelnden. Keine Kamera, die Lily aufgenommen hätte. Ich vertraute zwar noch immer meinem ersten Eindruck, war aber durchaus bereit, mich eines Besseren belehren zu lassen. Wir verbrachten den Nachmittag in Tempeln und Museen. Am frühen Abend holten wir unser Gepäck ab und gingen zur Fähre. Vom Deck aus sah ich zu, wie die zerklüfteten Berge zurückfielen. Ein Schwall von Bildern flutete mir so hell und so plötzlich in den Kopf, dass ich die See aus den Augen verlor: Holztempel, Möwen, Asphalt, der unter den Mopedreifen verschwand, weiße Futonbezüge und Kissen, mechanische Puppen, die nach Gold gruben. Ich war froh, wieder nach Haus zu fahren.
Auf dem Tokioter Hauptbahnhof verabschiedeten Lily und ich uns von Teiji. Er musste an dem Abend bis spät arbeiten und fing am nächsten Morgen früh wieder an, also hätte es für mich keinen Sinn gehabt, mit zu ihm zu fahren. Wir tauchten in das weiße Labyrinth von unterirdischen Gängen, um unseren jeweiligen Bahnsteig zu erreichen. Lily nahm auch die Yama-note-Linie, aber in die entgegengesetzte Richtung. Ich fuhr im, sie gegen den Uhrzeigersinn. Die
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