Jorina – Die Jade-Hexe
einlassen? Ich könnte dich foltern. Dir die Haut abziehen, bis du liebend gerne erzählst, was ich hören will ...«
»Laßt uns nicht wieder mit dem alten Spiel beginnen«, fiel ihm Jorina, plötzlich ungeduldig werdend, ins Wort. »Ihr könnt nicht wissen, welchen Zauber ich in einem solchen Fall über Euch verhängen würde. Ich führe Euch zu meinem Versteck, unter einer Bedingung.«
Der Herzog knurrte: »Und die wäre?« Obwohl er bereits ahnte, was sie sagen würde.
»Laßt Raoul de Nadier frei! Schwört mir bei Eurer Ehre oder was auch immer Euch noch etwas bedeutet, dass ihm von Eurer Hand kein Leid mehr zugefügt wird!«
»Den Teufel werde ich tun!«
»Dann bleibt der Jade-Stern für immer in seinem Versteck!«
Sie maßen sich mit Blicken, und am Ende war es der Herzog, der den Weinbecher auf den Tisch knallte und sich ächzend aus seinem Stuhl stemmte. Jorina wappnete sich vor der nächsten Gemeinheit, die so sicher wie das Amen nach einem Gebet kommen musste. Sie hob in stolzer Anmut das Kinn und warf den Kopf in den Nacken.
»Denkst du, dass du in der Position bist, Forderungen zu stellen, Weib?«
»Da ich etwas besitze, das Ihr um jeden Preis haben wollt, muss ich Eure Frage mit ›ja‹ beantworten.«
Die friedfertige Höflichkeit, mit der Jorina seine Herausforderung auflaufen ließ, erwies sich als stärker als seine Drohungen. Sie konnte nicht ahnen, dass Cocherel sie mit ständig wachsender abergläubischer Furcht beobachtete. Sie wusste nicht, dass sich auch die Jagd nach den anderen Novizinnen von Sainte Anne zu einer höchst komplizierten Angelegenheit entwickelt hatte.
Weniger, weil es so schwierig war, den Spuren der jungen Frauen zu folgen, als wegen der höchst ungewöhnlichen Auswahl der Personen, welche die Äbtissin getroffen hatte. Eine jede schien vom Schicksal eigens dazu bestimmt, ihm Ärger zu bereiten. Und diese hier mit ihren hellen Hexenaugen konnte fast schon der beunruhigenden Graciana de Cesson Konkurrenz machen. 1
»Und wie stellst du dir dieses Geschäft im Besonderen vor?« erkundigte er sich gereizt. »Ich könnte deinen wunderbaren Seigneur ja geradewegs hinter der nächsten Wegkreuzung von meinen Männern wieder einfangen lassen, ohne dass du davon erfährst!«
»Ich würde es wissen!« erklärte Jorina mit einer solchen Überzeugung, dass es dem Herzog die Sprache verschlug. Wie sollte sie ihm auch erklären, welche Nähe sie trotz allem zu dem Gefangenen empfand? Sie würde es wissen, ob er lebte oder starb, ob er sich in Freiheit befand oder in Ketten lag.
Die Raubvogelaugen des Söldnerführers maßen die Gestalt im roten Seidenkleid in einer Mischung aus Hass und Respekt. Seit Tagen trug sie nun dieses Gewand, es war zerknittert, und in den Säumen hing der Schmutz der großen Burghalle. Es schien ihr nicht länger etwas zu bedeuten, nur manchmal, wenn sie fror, rieb sie sich wie jetzt die Oberarme. Sie war kein verwöhntes Fräulein, das sich von äußeren Umständen in ihrem Handeln beeinflussen ließ. Auch das hatte er inzwischen begriffen.
»Und wer sagt mir, dass ich dir vertrauen kann?« fragte er unwillig.
»Dieses Risiko werdet Ihr eingehen müssen.« Jorina zuckte achtlos mit den Schultern. »Ich kann Euch natürlich auch beim Andenken meiner Mutter schwören, dass ich mein Wort halte.«
»Hast du keine Angst, dass ich dich töte, wenn ich dich nicht mehr brauche?«
Ein weiteres Achselzucken und ein gleichgültiger Blick aus unendlich traurigen türkisfarbenen Augen. »Tut, was Ihr nicht lassen könnt!«
»Ich nehme an, vorher wirst du einen weiteren deiner verdammten Zaubersprüche murmeln, und mir werden die Hände abfaulen oder die Füße absterben«, versuchte er einen derben Scherz.
Jorina verzog keine Miene. Dass er immer noch an ihre ›Kräfte‹ glaubte, war ihr selbst ein größeres Rätsel als ihm.
»Ich werde über deinen Vorschlag nachdenken!« Er tat so, als schwankte er noch, aber sie hatte ihn durchschaut.
Seine Gier nach dem Stern von Armor würde ihm sogar den Geschmack an seiner Rache verderben.
Jorina stand hinter den Zinnen des Bergfrieds und sah dem kleinen Reitertrupp nach, der die Festung von St. Cado landeinwärts verließ. Der nächste Raubzug, bei dem ein weiteres Dorf das Schicksal von Penhors erleiden sollte? Die Hufe der Pferde polterten über die Bohlen der Zugbrücke, klapperten über die gepflasterte Hauptstraße des Dorfes, dann verlor sich das Geräusch im silbernen Nebel, der die Burg in diesen Tagen
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