Joschka, die siebte Kavallerie
diesem Rennen, das wisst ihr bestimmt, saß meinem Bruder der bevorstehende Verrat an den Dicken Michi wie ein gigantischer Turboblaster im Genick.
„Was ist? Hast du Angst?“, stichelte Vanessa in mein Schweigen hinein.
Die anderen Wilden Kerle konnten sich ihr Grinsen kaum noch verkneifen.
„Nein. Das habe ich nicht!“, wehrte ich mich.
„Trotzdem geb’ ich dir noch eine Chance“, ignorierte Vanessa meine letzte Bemerkung. „Hört alle her! Wir sind drei Jahre älter als Joschka und Marlon wird bald sogar elf. Deshalb bekommt Joschka von uns einen Vorsprung: 100 Meter pro Jahr. Ist das okay?“
„Das ist zu viel! Ich bin doch kein Baby!“, fuhr ich aus der Haut.
Aber niemand schien meine Meinung zu teilen. Sie grinsten mich alle nur an und genau so grinste Vanessa.
„Also gut. Abgemacht! 350 Meter Vorsprung für dich. Das ist ein Geburtstagsgeschenk. Und wenn du gewinnst, kriegst du von mir zur Belohnung noch was drauf: einen echten, vor Spucke triefenden Kuss!“
„Igitt!“, stöhnte ich auf.
„Das kannst du laut sagen!“, ekelte sich Vanessa. „Und du kannst dich tausendprozentig darauf verlassen, dass ich alles tun werde, damit das nicht passiert.“
Ich blitzte sie an. Das war zu viel Gemeinheit auf einmal. Das musste sie büßen. Selbst wenn ich dafür einen Kuss von einem Mädchen bekam. Dieser Sieg war es mir wert. Das sage ich euch! Und deshalb bekam ich jetzt das Auge des Tigers.
Des zu allem entschlossenen Tigers und mit diesem Auge maß ich meine Konkurrenz ein letztes Mal ab.
Neben Vanessa auf ihrem waschechten Pakka mit dem extrabreiten Hinterradreifen stellte sich Leon mit seinem Spezial-Motocross-BMX an der imaginären Startlinie auf. Daneben lauerte Fabi auf seinem Mountainbike mit dem kleinen Spezial-Sprint-Hinterrad. Marlon spielte gelangweilt an seinem Lenker, doch in Wirklichkeit kippte er einen Hebel und der stellte seine Gangschaltung mit einem kaum hörbaren Klick auf Rennbetrieb um. Juli saß seelenruhig auf seinem Fahrradgespann und kraulte Socke, Leons und Marlons Hund, der jetzt an meiner Stelle im Beiwagen hockte, die großen Fledermausohren.
Mein Bruder und der Mistköter grinsten mich an. Ja, ihr könnt es mir glauben. Selbst Socke grinste in diesem Moment und schleckte sich wie zum Hohn übers Maul. Ich wusste sofort, was das hieß. Juli und Socke wollten das Rennen gar nicht gewinnen.
Auf gar keinen Fall wollten sie das. Nein, die beiden Schlitzohren wollten den Kuss, den vor Spucke triefenden Kuss, und ich wusste, sie würden alles tun, was in ihrer Kraft stand, um sich diesen Wunsch zu erfüllen.
Raban, der Held, bekam davon kein bisschen mit. Er konzentrierte sich nur auf den Start. Todernst, so wie die Schildkröte vor ihrem Wettlauf gegen den Hasen. Ja, und genauso wie sie hatte auch Raban nicht den Hauch einer Chance. Dafür war sein Zwölf-Zoll-Fahrrad zu klein und der Traktorhinterradreifen zu schwer. Doch das ließ Raban eiskalt. Raban war weise, wisst ihr, und deshalb wusste er auch, dass jeder Tag der Tag sein konnte, an dem die Schildkröte endlich gegen den Hasen gewinnt.
Doch neben dem Jungen mit der Coca-Cola-Glas-Brille und den knallroten Haaren tauchten drei andere Wilde Kerle auf und die, das sage ich euch, durfte ich auf keinen Fall unterschätzen:
Maxi „Tippkick“ Maximilian, der Mann mit dem Trippel-M.S., bremste sein nigelnagelneues Pakka mit dem Cruiserlenker und dem Motorradscheinwerfer so lässig, dass es beängstigend war. Dann strich er sich über die coole Frisur, die er seit der Horrorgruselnacht trug, schob seine schwarze Sonnenbrille zurecht und nickte mir zu, als wollte er sagen: ,Na, dann viel Glück, Kleiner! Aber wenn du mich fragst, hast du dir nicht ein bisschen viel vorgenommen?‘
Ich schluckte und wich seinem Blick lieber aus.
Ich schaute zu Rocce, dem Zauberer, dem Sohn des brasilianischen Fußballgotts von den Bayern , der auf seinem vierrädrigen Strandbuggy-Rad saß. Doch das hätte ich lieber nicht tun sollen, denn jetzt sah ich auch die neue Flaschenzugübersetzung. Seine Fahrradkette lief über so viele Rollen und Ritzel hinweg, dass Rocce sein Rad einbeinig und mit dem kleinen Zeh treten konnte – wenn er es wollte – und das den ganzen Zuckerhut hoch.
Ja, und über den Letzten der drei, über Felix, den Wirbelwind, muss ich nichts sagen. Felix hat Asthma, aber gegen dieses Asthma ist er auf seinem Rennsegler-Dreirad immun. Die Luft, die er brauchte, um dieses Rennen gegen mich zu gewinnen, fing
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