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Joseph Anton

Joseph Anton

Titel: Joseph Anton Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: S Rushdie
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Schlussfolgerungen zu ziehen. Ein Dutzend Jahre und mehr werden vergehen, ehe die Geschichte den Himmel verdeckt – wie der am Horizont erscheinende Erzengel Gabriel, wie zwei in hohe Gebäude fliegende Flugzeuge, wie die Plage der todbringenden Vögel in Alfred Hitchcocks großartigem Film.
    In den Studios von CBS war er die Nachricht des Tages. Die Leute in der Nachrichtenredaktion und an den diversen Monitoren benutzten schon das Wort, das ihm bald wie ein Mühlstein um den Hals hängen würde. Sie benutzten es, als wäre es synonym mit ›Todesurteil‹, und er wollte rebellieren, sie pedantisch korrigieren, das sei es nicht, was das Wort besage. Von jenem Tag an aber sollte es dies für die meisten Menschen auf der Welt bedeuten. Auch für ihn.
    Fatwa .
    ›Ich informiere das stolze muslimische Volk der Welt, dass der Autor des Buches Die satanischen Verse , welches sich gegen den Islam, den Propheten und den Koran richtet, sowie alle, die zu seiner Publikation beigetragen haben, zum Tode verurteilt sind. Ich bitte sämtliche Muslime, die Betroffenen hinzurichten, wo immer sie auch sein mögen.‹ Während er zum Interview ins Studio geführt wurde, drückte ihm irgendwer den Text in die Hand. Wieder wollte sein altes Ich korrigieren, diesmal das Wort ›verurteilt‹. Bei der Fatwa handelte es sich um kein Urteil von einem Gericht, das er anerkannte oder das Gerichtsbarkeit über ihn besaß. Sie war das Edikt eines grausamen alten, im Sterben liegenden Mannes. Doch er wusste, die Angewohnheiten seines alten Ichs nutzten ihm nichts mehr. Er besaß jetzt ein neues Ich. Er war der Mensch im Auge des Sturms, nicht mehr der Salman , den seine Freunde kannten, sondern Rushdie , Autor der satanischen Verse – dieses Buches mit dem auf subtile Weise durch das Fortlassen des Artikels Die entstellten Titels. Die satanischen Verse war ein Roman. Satanische Verse waren Verse, die satanisch waren, und er war ihr satanischer Verfasser, ›Satan Rushdy‹, eine gehörnte Kreatur auf Plakaten, die von Demonstranten durch die Straßen ferner Städte getragen wurden, der Gehängte mit langer roter Zunge auf primitiven hochgehaltenen Bildern. Hängt Satan Rushdy . Wie leicht es doch war, eines Menschen Vergangenheit auszulöschen und eine neue Version von ihm zu schaffen, eine überwältigende Version, gegen die anzukämpfen unmöglich schien.
    König Karl I. hatte die Legitimität des gegen ihn verhängten Urteils angezweifelt. Oliver Cromwell konnte das nicht aufhalten; er ließ ihn trotzdem köpfen.
    Er war kein König. Er war der Verfasser eines Buches.
    Er sah die Journalisten an, die ihn ihrerseits ansahen, und fragte sich, ob Menschen so Verurteilte sahen, die zum Galgen, zum elektrischen Stuhl oder zur Guillotine geführt wurden. Ein Auslandskorrespondent wirkte freundlich. Er fragte ihn, was er seiner Meinung nach von Khomeinis Worten halten sollte. Wie ernst war das Ganze? War es nur eine rhetorische Floskel oder wirklich gefährlich?
    »Ach, machen Sie sich keine allzu großen Sorgen«, antwortete der Journalist. »Khomeini verurteilt den Präsidenten der Vereinigten Staaten jeden Freitagnachmittag zum Tode.«
    Als er auf Sendung war, wurde er gefragt, wie er auf die Drohung reagiere, und er antwortete: »Hätte ich doch nur ein kritischeres Buch geschrieben.« Dass er dies gesagt hatte, darauf war er stolz, damals wie heute. Es war die Wahrheit. Er hatte nicht den Eindruck, dass sich sein Buch besonders kritisch mit dem Islam auseinandersetzte, doch, und das sagte er auch an diesem Morgen im amerikanischen Fernsehen, eine Religion, deren Führer sich auf derartige Weise verhielt, hätte ein wenig Kritik wohl durchaus nötig.
    Als das Interview vorbei war, wurde ihm gesagt, seine Frau wolle ihn sprechen. Er rief zu Hause an. »Komm nicht hierher zurück«, sagte sie. »Auf dem Bürgersteig warten gut zweihundert Journalisten auf dich.«
    »Ich fahre zur Agentur«, erwiderte er. »Pack eine Tasche; und wir treffen uns da.«
    Das Büro seiner Literaturagentur Wylie, Aitken & Stone befand sich in einem weißen Stuckhaus in der Fernshaw Road in Chelsea. Draußen kampierten keine Journalisten – offenbar rechnete die Weltpresse nicht damit, dass er an einem solchen Tag seinen Agenten aufsuchen würde –, doch als er das Gebäude betrat, klingelten sämtliche Telefone, und bei jedem Anruf ging es um ihn. Gillon Aitken, sein britischer Agent, sah ihn erstaunt an. Er telefonierte gerade mit Keith Vaz, dem

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