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Joseph Anton

Joseph Anton

Titel: Joseph Anton Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: S Rushdie
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gut. Wenn Sie hinfahren, Sir, gehen Sie heute Abend bitte nicht mehr aus, falls das für Sie in Ordnung ist. Zurzeit finden Beratungen statt, und man wird Sie morgen so früh wie möglich wissen lassen, was dabei herausgekommen ist. Bis dahin sollten Sie in der Wohnung bleiben.«
    Er redete mit seinem Sohn, drückte ihn fest an sich und beschloss in diesem Moment, ihm so viel wie möglich zu erzählen, dabei aber das, was geschah, ins bestmögliche Licht zu rücken. Am ehesten konnte er Zafar helfen, mit den Geschehnissen fertig zu werden, wenn er ihm das Gefühl gab, unmittelbar daran beteiligt zu sein, wenn er ihm seine väterliche Version gab, der er glauben und an die er sich halten konnte, falls man ihn mit anderen Versionen bombardierte, etwa über das Fernsehen oder auf dem Schulhof. Die Schule verhalte sich hervorragend, sagte Clarissa, sie hatte Fotografen und einem TV -Team den Zugang verweigert, die den Sohn des bedrohten Mannes filmen wollten, und die Mitschüler seien ebenfalls ganz fantastisch. Ohne jede Diskussion hatten sie sich vor Zafar gestellt und ihm so einen normalen oder doch fast normalen Schultag ermöglicht. Auch die Eltern seien nahezu ausnahmslos hilfsbereit gewesen, und die ein oder zwei, die verlangt hatten, dass man Zafar von der Schule nehme, da seine Anwesenheit eine Gefahr für ihre Kinder bedeuten könnte, waren vom Direktor gerügt worden und hatten beschämt den Rückzug angetreten. Es tat gut, an diesem Tag Mut, Solidarität und Prinzipientreue zu erleben, die besten aller menschlichen Werte, die sich in ebenjener Stunde, in der es fast unmöglich schien, der wachsenden Flut der Dunkelheit zu widerstehen, gegen Gewalt und Bigotterie wandten, gegen die düsteren Seiten der menschlichen Rasse. Was bis zu diesem Tag unvorstellbar gewesen war, war vorstellbar geworden, in der Hall School in Hampstead aber hatte der Widerstand bereits begonnen.
    »Sehe ich dich morgen, Dad?« Er schüttelte den Kopf. »Aber ich rufe dich an«, sagte er. »Ich rufe dich jeden Abend um sieben Uhr an. Und wenn du nicht da sein solltest«, fuhr er an Clarissa gewandt fort, »hinterlass bitte eine Nachricht auf dem Anrufbeantworter, wann ich stattdessen anrufen soll.« Das war Anfang 1989. So etwas wie PC , Laptop, Handy, Mobiltelefon, Internet, Wi-Fi, SMS und E-Mail war entweder noch unbekannt oder ziemlich neu, jedenfalls besaß er keinen Computer und kein Handy. Allerdings gehörte ihm ein Haus, auch wenn er die Nacht dort nicht verbrachte, und in diesem Haus gab es einen Anrufbeantworter, und er konnte anrufen und sich das Band vorspielen lassen, konnte die Nachricht hören, nein, sie abrufen , wie man jetzt sagte. »Sieben Uhr«, wiederholte er. »Jeden Abend, okay?« Zafar nickte mit ernster Miene. »Okay, Dad.«
    Er fuhr allein nach Hause, und das Radio brachte keine guten Nachrichten. Zwei Tage zuvor hatte am US -amerikanischen Kulturzentrum im pakistanischen Islamabad eine ›Rushdie-Demo‹ stattge funden. (Es blieb unklar, warum man die Vereinigten Staaten für Die satanischen Verse verantwortlich machte.) Die Polizei feuerte in die Menge, und es gab fünf Tote und sechzig Verletzte. Die Demonstranten trugen Plakate, auf denen stand: RUSDHIE DU BIST TOT . Durch das Edikt aus dem Iran war die Gefahr nun vervielfacht. Denn bei Ayatollah Khomeini handelte es sich nicht bloß um einen mächtigen Geistlichen; er war das Oberhaupt eines Staates, das die Ermordung des Bürgers eines anderen Staates befahl, eines Mannes, der nicht unter seine Gerichtsbarkeit fiel; und diesem Oberhaupt waren Attentäter unterstellt, die schon öfter zum Einsatz gegen ›Feinde‹ der iranischen Revolution gekommen waren, auch gegen Feinde, die außerhalb des Iran gelebt hatten. Im Radio fiel ein weiteres neues Wort, das er lernen musste: Extraterritorialität , auch bekannt als staatlich geförderter Terrorismus. Voltaire hatte einmal gesagt, dass es für einen Schriftsteller günstig sei, in der Nähe einer Landesgrenze zu wohnen, könne er dann doch, sollte er einmal mächtige Menschen verärgern, rasch über die Grenze in Sicherheit fliehen. Voltaire selbst verließ Frank reich in Richtung England, nachdem er den Chevalier de Rohan, einen Aristokraten, beleidigt hatte; er blieb sieben Jahre im Exil. Heutzutage aber bedeutete es keine Sicherheit mehr, nicht im Land seiner Verfolger zu leben. Schließlich gab es die extraterritoriale Aktion . Mit anderen Worten: Sie jagen dich und spüren dich auf.
    Die Nacht am

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