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Joseph und seine Brüder: Vier Romane in einem Band (Fischer Klassik Plus) (German Edition)

Joseph und seine Brüder: Vier Romane in einem Band (Fischer Klassik Plus) (German Edition)

Titel: Joseph und seine Brüder: Vier Romane in einem Band (Fischer Klassik Plus) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Mann
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gleichen sich wohl, und verwandt lautend kommen die Worte aus ihren Mündern. Denn derselbe Vater zeugte sie in derselben Mutter, und sind ein wenig unterschieden in der Zeit und wandeln getrennt, aber sind eins im Schoße des Ursprungs. Siehe, ich fürchte mich etwas vor meinen blinden Worten, denn ich hatte leicht sagen, es vermöchte die Finsternis nichts über unsere Rede, da ich doch spüre, daß die Dunkelheit in meine Worte dringt und sie tränkt, so daß ich etwas vor ihnen erschrecke. Laß uns preisen die Unterscheidung, und daß du Rahel bist und ich Jaakob bin und zum Beispiel nicht etwa Esau, mein roter Bruder! Die Väter und ich, wir haben wohl nachgesonnen manche Zeit bei den Hürden, wer Gott sei, und unsere Kinder und Kindeskinder werden uns folgen im Sinnen. Ich aber sage zu dieser Stunde und mache hell meine Rede, daß die Finsternis von ihr zurückweicht: Gott ist die Unterscheidung! Darum, so hebe ich dir nun den Schleier, Geliebte, daß ich dich sehe mit sehenden Händen, und lege ihn besonnen auf einen Sessel, der hier steht, denn er ist kostbar an Bildern, und wir wollen ihn vererben durch die Geschlechter, und sollen ihn tragen die Lieblinge unter den Zahllosen. Siehe, hier ist dein Haar, schwarz, aber lieblich, ich kenne es so genau, ich kenne seinen Duft, der einzig ist, ich führe es an meine Lippen, und was vermag da die Finsternis? Sie kann sich nicht drängen zwischen meine Lippen und dein Haar. Hier sind deine Augen, lächelnde Nacht in der Nacht, und ihre zarten Höhlen, und ich erkenne die sanften Gegenden unterhalb ihrer, von wo ich so manchesmal Tränen der Ungeduld wegküßte, daß meine Lippen naß waren. Hier sind deine Wangen, weich wie Vogelflaum und wie die köstlichste Wolle ausländischer Ziegen. Hier deine Schultern, die meinen Händen fast stattlicher erscheinen, als sie den Augen wohl vorkommen am Tage, deine Arme hier und hier –«
    Er verstummte. Da seine sehenden Hände ihr Antlitz verließen und fanden ihren Leib und die Haut ihres Leibes, rührte Ischtar sie beide an bis ins Mark, es hauchte der Himmelsstier, und sein Odem war ihrer beider Odem, der sich vermischte. Und war dem Jaakob das Labanskind eine herrliche Gesellin diese ganze wehende Nacht hindurch, groß in der Wollust und rüstig zu zeugen, und empfing ihn öfters und abermals, so daß sie’s nicht zählten, die Hirten aber antworteten einander, es sei neunmal gewesen.
    Später schlief er am Boden auf ihrer Hand, denn das Bett war schmal, und er wollte ihr Platz und Bequemlichkeit lassen zu ihrer Ruhe. Darum schlief er neben der Bettstatt kauernd, die Wange auf ihrer Hand, die am Rande lag. Der Morgen dämmerte. Trübrot und stille geworden stand er vor den Luken und erfüllte mit langsamer Aufhellung das Brautgemach. Es war Jaakob, der zuerst erwachte: vom Tagesschein, der unter seine Lider drang, und von der Stille, denn bis tief in die Nacht war viel Lärmens und Lachens gewesen in Haus und Hof vom fortwährenden Gelage, und erst gegen Morgen, als die Neuvermählten schon schliefen, war Ruhe geworden. Auch hatte er’s unbequem, wenn auch mit Freuden, – so erwachte er leichter. Er regte sich, spürte ihre Hand, gedachte, wie alles stand, und wandte den Mund hin, die Hand zu küssen. Dann hob er den Kopf, um nach der Lieben zu sehen und nach ihrem Schlummer. Mit Augen, schwer und klebrig vom Schlaf, die noch geneigt waren, sich zu verdrehen, und ihren Blick noch nicht finden wollten, schaute er hin. Da war’s Lea.
    Er senkte die Augen und schüttelte lächelnd das Haupt. Ei, dachte er, während es ihm doch schon zu grausen begann um Herz und Magen; ei siehe, ei sieh! Spöttischer Morgentrug, possierliches Blendwerk. Den Augen war Finsternis vorgehangen, – nun, da sie frei sind, stellen sie sich blöde an. Sind wohl Schwestern einander heimlich so ähnlich, obgleich die Ähnlichkeit gar nicht nachweisbar ist in ihren Zügen, und wenn sie schlafen, wird man’s gewahr? Sehen wir nun also besser hin!
    Aber er sah noch nicht hin, denn er fürchtete sich, und was er bei sich redete, war nur Geschwätz des Grausens. Er hatte gesehen, daß sie blond war und ihre Nase etwas gerötet. Er rieb sich die Augen mit den Knöcheln und zwang sich zu schauen. Es war Lea, die schlief.
    In seinem Kopf taumelten die Gedanken. Wie kam Lea hierher, und wo war Rahel, die man zu ihm eingelassen und die er erkannt hatte diese Nacht? Er strauchelte rückwärts, vom Bette weg, in die Mitte des Zimmers, und stand da im Hemd,

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