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Joseph und seine Brüder: Vier Romane in einem Band (Fischer Klassik Plus) (German Edition)

Joseph und seine Brüder: Vier Romane in einem Band (Fischer Klassik Plus) (German Edition)

Titel: Joseph und seine Brüder: Vier Romane in einem Band (Fischer Klassik Plus) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Mann
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Selbstvergessenheit, in die sein Treiben ihn einlullte, ins nicht mehr ganz Geheuere auszuarten. Er hatte nicht viel Stimme gegeben zu seinem Gesang und hätte nicht viel zu geben gehabt. Sie war spröde und unreif, diese noch scharf, halb kindliche Stimme von jugendlich unzulänglicher organischer Resonanz. Jetzt aber blieb aller Ton ihm aus, versagte krampfig und abgeschnürt; sein »Jahu, Jahu!« war nur noch ein keuchendes Flüstern bei völlig von Atemluft leerer Lunge, die wieder zu füllen er unterließ, und gleichzeitig entstellte sein Körper sich, die Brust fiel ein, der Bauchmuskel geriet in eigentümlich rotierende Bewegung, Nacken und Schultern stiegen verzerrt, die Hände zitterten, an den Oberarmen trat der Spannmuskel strangartig hervor, und im Nu hatte das Schwarze seiner Augen sich weggedreht – das leere Weiß schimmerte unheimlich im einfallenden Mondlicht.
    Man muß hier sagen, daß niemand sich leicht einer solchen Unordnung im Betragen des Jungen versehen hätte. Sein Anfall, oder wie man es nennen wollte, wirkte als Unstimmigkeit und besorgniserregende Überraschung, er stand zu dem Eindruck freundlich verständiger Gesittung, den seine wohlgefällige und allenfalls etwas zu stutzerhafte Person auf den ersten Blick und überzeugend vermittelte, in unwahrscheinlichem Gegensatz. War es Ernst damit, so fragte sich nur, wessen Sache es war, sich um seine Seele zu kümmern, die in diesem Falle vielleicht als berufen, aber jedenfalls als gefährdet zu gelten hatte. Handelte es sich um Spielerei und Laune, so blieb die Sache bedenklich genug, – und daß dergleichen hier zum mindesten einschlägig war, schien aus dem Verhalten des jungen Mondnarren unter folgenden Umständen hervorzugehen.
    Der Vater
    Aus der Richtung des Hügels und der Wohnungen wurde sein Name gerufen: »Joseph! Joseph!«, zweimal und dreimal, in einer Entfernung, die sich verminderte. Er hörte den Ruf beim drittenmal, gab wenigstens erst beim drittenmal zu, daß er ihn vernommen habe, und löste rasch seinen Zustand, indem er »hier bin ich« murmelte. Seine Augen kehrten zurück, er ließ die Arme, das Haupt fallen und lächelte verschämt auf seine Brust herab. Es war seines Vaters milde und wie immer gefühlsbewegte, leicht klagende Stimme, die rief. Bereits klang sie nahebei. Er wiederholte, obgleich er den Sohn schon am Brunnen gewahrt hatte: »Joseph, wo bist du?«
    Da er lange Kleider trug, da außerdem das Mondlicht in seiner Scheingenauigkeit und phantastischen Klarheit übertriebene Vorstellungen begünstigt, so erschien Jaakob – oder Jaakow ben Jizchak, wie er schrieb, wenn er seinen Namen zu zeichnen hatte – von majestätischer und fast übermenschlicher Größe, wie er dort zwischen Brunnen und Unterweisungsbaum stand, näher bei diesem, dessen Blätterschatten seine Gewänder sprenkelte. Noch eindrucksvoller – sei es bewußt oder unbewußt – wurde seine Gestalt durch ihre Haltung, denn er stützte sich auf einen langen Stab, den er sehr hoch umfaßt hielt, so daß der weite Ärmel des großfaltigen, schmal und blaßfarbig gestreiften Übergewandes oder Mantels aus einer Art von Wollmusselin, den er trug, von dem über das Haupt erhobenen, schon greisenhaften, am Handgelenk mit einem kupfernen Reifen geschmückten Arme zurückfiel. Esau’s vorgezogener Zwillingsbruder zählte damals siebenundsechzig Jahre. Sein Bart, dünn, aber lang und breit (denn er stand ihm, ins Schläfenhaar übergehend, seitlich in leichten Strähnen von den Wangen ab und fiel in dieser Breite zur Brust), frei wachsend, ungelockt, in keiner Weise geformt und zusammengefaßt, schimmerte silbern im Mondlicht. Seine schmalen Lippen waren sichtbar darin. Tiefe Furchen liefen von den Flügeln der dünnrückigen Nase in den Bart hinab. Seine Augen, unter einer Stirn, die halb verhüllt war von dem Kapuzenschal aus dunkelbuntem kanaanitischen Tuchgewirk, der ihm in Falten auf die Brust hing und über die Schulter geworfen war – kleine Augen, braun, blank, mit schlaffer, drüsenzarter Unterlidgegend, schon altersmüde eigentlich und nur seelisch geschärft, spähten besorgt nach dem Knaben am Brunnen. Der Mantel, durch die Armhaltung gerafft und geöffnet, ließ ein Leibgewand aus farbiger Ziegenwolle sehen, dessen Saum bis zu den Spitzen der Stoffschuhe reichte und in langbefransten schräglaufenden Überfällen gearbeitet war, so daß es aussah, als seien es mehrere und eines käme unter dem andern hervor. So war die Kleidung des

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