Joseph und seine Brüder: Vier Romane in einem Band (Fischer Klassik Plus) (German Edition)
sonnenschweren Tage erwünschte Annehmlichkeit und Vollzug frommer Ordnungsvorschrift zugleich gewesen waren, hatte der Knabe sich aus einem Salbgefäß von undurchsichtig schillerndem Glase, das neben ihm stand und mit Wohlgeruch versetztes Olivenöl enthielt, die Glieder geschmeidigt, wobei er weder den locker geflochtenen Myrtenkranz, den er im Haare trug, noch das Amulett abgelegt hatte, das ihm an einer bronzierten Schnur um den Hals und mitten auf der Brust hing: ein Bündelchen, in das schutzreiche Wurzelfasern eingenäht waren.
Jetzt schien er Andacht zu verrichten, denn, das Gesicht emporgewandt, zum Monde, der es voll beschien, hielt er die beiden Oberarme an den Flanken, die unteren aber aufgerichtet, mit offen nach außen und oben gekehrten Handflächen, und während er sich im Sitzen leicht hin und her schaukelte, gab er halbe, singende Stimme zu Worten oder Lauten, die er mit den Lippen bildete ... Er trug einen Ring aus blauer Fayence an der Linken, und seine Finger- und Fußnägel zeigten Spuren einer ziegelroten Färbung mit Henna, die er geckenhafterweise anläßlich seiner Teilnahme an dem jüngsten städtischen Feste mochte vorgenommen haben, um den Weibern auf den Dächern wohlgefällig zu sein, – obgleich er dabei auf solche kosmetischen Vorkehrungen hätte verzichten und nur der hübschen Larve hätte vertrauen mögen, die Gott ihm gegeben und die in ihrem noch kindlich vollen Oval und namentlich dank dem weichen Ausdruck der schwarzen, etwas schrägsitzenden Augen wirklich sehr anmutig war. Schöne Leute meinen ihre Natur ja noch zu erhöhen und »sich schön machen« zu sollen, vermutlich aus einer Art von Gehorsam gegen ihre erfreuliche Rolle und indem sie den empfangenen Gaben einen Dienst widmen, dem man den Sinn der Frömmigkeit beilegen und also gelten lassen mag, während das Sichherausstaffieren der Häßlichen trauriger und närrischer Art ist. Auch ist Schönheit ja nie vollkommen und hält ebendarum zur Eitelkeit an; denn sie macht sich ein Gewissen aus dem, was ihr zum durch sie selbst gegebenen Ideale fehlt, – was eben doch wieder irrig ist, da ihr Geheimnis eigentlich in der Anziehungskraft des Unvollkommenen besteht.
Um das Haupt des jungen Menschen, den wir hier in Wirklichkeit vor uns sehen, haben Gerücht und Gedicht einen wahren Strahlenkranz von Schönheitsruhm gewoben, über die uns leicht zu verwundern seine Gegenwart in Fleisch und Blut uns einige Gelegenheit gibt – und zwar obgleich die unsicheren Zauber der Mondnacht ihr mit milder Blendung zu Hilfe kommen. Was ist, als die Tage sich vervielfältigt hatten, in Lied und Legende, in Apokryphen und Pseudepigraphen nicht alles zum Preise seines Äußeren verkündet und behauptet worden, was uns mit Augen Sehende zum Lächeln bringen könnte! Daß sein Angesicht der Sonne und des Mondes Prangen beschämt hätte, ist noch das mindeste, was da eingeprägt wird. Es heißt buchstäblich, daß er Stirn und Wangen mit einem Schleier habe überhängen müssen, damit des Volkes Herzen nicht in Erdengluten zu dem Gottgesandten entbrannten, und dann, daß diejenigen, die ihn ohne Schleier gesehen hätten, »tief versenkt in seliges Betrachten«, den Jungen nicht mehr gekannt hätten. Die morgenländische Überlieferung zögert nicht zu erklären, die Hälfte aller überhaupt vorhandenen Schönheit sei diesem Jüngling zugefallen und die andere Hälfte unter den Rest der Menschheit verteilt worden. Ein persischer Sänger von besonderer Autorität übertrumpft diese Aufstellung mit dem exzentrischen Bilde eines einzigen Geldstückes von sechs Lot Gewicht, zu dem die Schönheit dieser Welt zusammengeschmolzen worden wäre, – dann würden, so schwärmt der Dichter, fünf Lot davon auf ihn, den Ausbund, den Unvergleichlichen, gekommen sein.
Ein solcher Ruhm, übermütig und maßlos, weil er nicht mehr damit rechnet, nachgeprüft zu werden, hat etwas Verwirrendes und Bestechendes für den Sehenden, er bildet eine Gefahr für die nüchterne Anschauung der Tatsachen. Es gibt viele Beispiele für die Einflüsterungskraft einer übertriebenen Schätzung, auf die die Menschen sich geeinigt haben und von welcher der einzelne willig, ja mit einer Art von Raserei, sich blenden läßt. Einige zwanzig Jahre vor dem Zeitpunkt, den wir jetzt einnehmen, hielt, wie wir noch hören werden, ein diesem selben Jüngling sehr nahestehender Mann in der Gegend von Charran im Lande Mesopotamien Schafe feil, die er gezüchtet und die sich eines
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