Joseph und seine Brüder: Vier Romane in einem Band (Fischer Klassik Plus) (German Edition)
derartigen Rufes erfreuten, daß die Leute dem Manne schlechthin unsinnige Preise für sie bezahlten, obgleich jeder sehen mußte, daß es sich nicht um himmlische, sondern um natürliche und gewöhnliche, wenn auch vortreffliche Schafe handelte. Das ist die Macht des menschlichen Unterwerfungsbedürfnisses! Aber gewillt, uns nicht den Sinn von einem Nachruhm verdunkeln zu lassen, den mit der Realität zu vergleichen wir in die Lage gesetzt sind, dürfen wir uns auch wieder nicht in entgegengesetzte Richtung verirren und uns einer übertriebenen Mäkelsucht überlassen. Ein posthumer Enthusiasmus, wie der, von dem wir die Gesundheit unseres Urteils bedroht fühlen, entsteht natürlich nicht aus dem leeren Nichts; er hat seinen Wurzelhalt im Wirklichen und wurde nachweislich zu einem guten Teil schon der lebenden Person entgegengebracht. Wir müssen uns, um das zu verstehen, vor allen Dingen dem Blickpunkt eines gewissen arabischdunklen Geschmackes anbequemen, einem ästhetischen Gesichtswinkel, der der praktisch wirksame war und unter dem betrachtet der Junge tatsächlich dermaßen hübsch und schön erschien, daß er auf den ersten Blick mehrmals halb und halb für einen Gott gehalten wurde.
Wir wollen also unsere Worte in Zucht nehmen und, indem wir weder schwächlicher Nachgiebigkeit gegen das Gerücht noch der Hyperkritik verfallen, die Feststellung treffen, daß das Gesicht des jungen Mondschwärmers am Brunnen liebenswürdig war noch in seinen Fehlern. Es waren zum Beispiel die Nüstern seiner ziemlich kurzen und sehr geraden Nase zu dick; aber da hierdurch die Flügel gebläht schienen, trat etwas von Lebhaftigkeit, Affekt und fliegendem Stolz in die Physiognomie, was sich mit der Freundlichkeit der Augen gut zusammenfügte. Den Ausdruck hochmütiger Sinnlichkeit, den aufgeworfene Lippen hervorrufen, wollen wir nicht rügen. Er kann täuschen, und außerdem müssen wir, gerade was die Lippenbildung betrifft, den Blickpunkt von Land und Leuten wahren. Dagegen würden wir uns für berechtigt halten, die Gegend zwischen Mund und Nase zu gewölbt zu finden, – wenn nicht ebendamit eine besonders ansprechende Gestaltung der Mundwinkel zusammengehangen hätte, in denen nur durch das Aufeinanderliegen der Lippen und ohne Muskelanziehung ein ruhiges Lächeln entstand. Die Stirne war glatt in ihrer unteren Hälfte, über den starken und schöngezeichneten Brauen, aber ausgebuchtet weiter oben, unter dem dichten, schwarzen, von einem hellen Lederbande umfaßten und außerdem mit dem Myrtenkranz geschmückten Haar, das beutelartig in den Nacken fiel, aber die Ohren frei ließ, mit denen es gute Ordnung gehabt hätte, wenn nicht ihre Läppchen etwas fleischig ausgeartet und in die Länge gezogen gewesen wären, offenbar durch die unnötig großen Silberringe, die man schon in der Kindheit hindurchgezogen hatte.
Betete der Jüngling denn nun? Aber dafür war seine Haltung zu bequem. Er hätte stehen müssen. Sein Murmeln und halblauter Singsang mit erhobenen Händen schien eher eine selbstvergessene Unterhaltung, etwas wie eine leise Zwiesprache mit dem hohen Gestirn zu sein, an das er sich damit wandte. Er lallte schaukelnd: »Abu – Chammu – Aoth – Abaoth – Abirâm – Chaam – mi – ra – am ...«
In dieser Improvisation gingen alle möglichen Weitläufigkeiten und Ideenverbindungen durcheinander, denn wenn er damit dem Monde babylonische Schmeichelnamen sagte, ihn Abu, Vater, und Chammu, Oheim, nannte, so spielte doch auch der Name Abrams, seines wahren und vermeintlichen Ahnen, hinein, dazu in abwandelnder Erweiterung dieses Namens ein anderer, ehrwürdig überlieferter: Chammurabi’s, des Gesetzgebers, legendärer Name, des Sinnes: »Mein göttlicher Oheim ist erhaben«, ferner aber Bedeutungslaute, die auf dem Wege des Vater-Gedankens über den Bereich östlich-urheimatlicher Gestirnfrömmigkeit und der Familienerinnerung hinausgingen und sich an dem Neuen, Werdenden, im Geist seiner Nächsten leidenschaftlich Gehegten, Erörterten, Geförderten stammelnd versuchten ...
»Jao – Aoth – Abaoth –«, klang sein Singsang. »Jahu, Jahu! Ja – a – we – ilu, Ja – a – um – ilu –« Und während das fortging mit erhobenen Händen, mit Schaukeln, Kopfwiegen und Liebeslächeln zum lichtströmenden Monde empor, war Sonderbares und fast Erschreckendes an dem Einsamen zu beobachten. Seine Andachtsübung, lyrische Unterhaltung oder was es nun war, schien ihn fortzureißen, die wachsende
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