Joseph und seine Brüder: Vier Romane in einem Band (Fischer Klassik Plus) (German Edition)
seinem Schrecken und mich nicht erbleichen lassen vor seinem Rätsel. ›Ist dein Name wohl Blutdurst?‹ hätte ich gefragt, um mir einen Spaß mit ihm zu machen. ›Oder heißest du etwa Mordsprung?‹ Aber dann hätte ich mich recht aufgesetzt und gerufen: ›Löwe! Siehe, ein Löwe bist du nach deiner Art und Unterart, und dein Geheimnis liegt bloß vor mir, daß ich es aussage und abtue lachenden Mundes.‹ Und er hätte geblinzelt vor dem Namen und sich weggeduckt vor dem Wort, ohnmächtig, mir zu erwidern. Denn er ist ganz ohne Unterricht und weiß nichts vom Schreibzeug ...«
Er fing an, Wortwitz zu treiben, was ihn jederzeit freute, wozu er aber im Augenblick griff, um, eben wie mit den vorangegangenen Prahlereien, den Vater damit zu zerstreuen. Sein Name klang an das Wort Sefer, Buch und Schreibzeug an – zu seiner beständigen Genugtuung übrigens, denn im Gegensatz zu allen seinen Brüdern, von denen keiner schreiben konnte, liebte er die stilistische Beschäftigung und besaß so viel Gewandtheit darin, daß er recht wohl an einer Stätte der Urkundensammlung, wie Kirjath Sefer oder Gebal, als Schreibämtling hätte dienen können, wenn an die Zustimmung Jaakobs zu einer solchen Berufsübung hätte gedacht werden können.
»Wollte doch«, fuhr er fort, »das Väterchen sich herbeilassen und sich zwanglos und bequem zum Sohn an die Tiefe setzen, beispielsweise hier auf den Rand, während das buchgelehrte Kind etwas tiefer rücken und zu seinen Füßen sitzen würde, was eine recht liebliche Anordnung ergäbe. Dann würde es seinen Herrn unterhalten und ihm eine kleine Nachricht und Fabel vom Namen erzählen, die es gelernt hat und ansprechend vorzutragen weiß. Denn es war zur Zeit der Geschlechter der Flut, daß der Engel Semhazai auf Erden eine Dirne sah namens Ischchara und an ihrer Schönheit zum Narren ward, so daß er sprach: Höre auf mich! Sie aber antwortete und sprach: Es ist gar kein Gedanke daran, daß ich auf dich höre, außer du lehrtest mich zuvor den wahrhaften und unverstellten Namen Gottes, kraft dessen du auffährst, wenn du ihn aussprichst. Da lehrte der Bote Semhazai in seiner Narrheit sie wirklich den Namen, weil er gar so brünstiglich wünschte, daß sie auf ihn höre. Kaum aber sah Ischchara sich in diesem Besitz, was denkt das Väterchen wohl, daß sie tat und wie die Reine dem zudringlichen Boten ein Schnippchen schlug? Dies ist der Augenblick der höchsten Spannung innerhalb der Geschichte, aber ich sehe leider, daß das Väterchen nicht lauscht, sondern daß seine Ohren verschlossen sind von Gedanken und er eingegangen ist in tiefes Sinnen?«
Wirklich hörte Jaakob nicht zu, sondern »sann«. Es war ein gewaltig ausdrucksvolles Sinnen, das Sinnen selbst, sozusagen wie es im Buche steht, der höchste Grad pathetisch vertiefter Abwesenheit, – darunter tat er es nicht; wenn er sann, so mußte es auch ein rechtes und auf hundert Schritte anschauliches Sinnen sein, großartig und stark, so daß nicht allein jedem deutlich wurde, Jaakob sei in Sinnen versunken, sondern auch jeder überhaupt erst erfuhr, was das eigentlich sei, eine wahre Versonnenheit, und jeden Ehrfurcht anwandelte vor diesem Zustand und Bilde: der Alte am hohen, mit beiden Händen erfaßten Stabe lehnend, das über den Arm gebeugte Haupt, die innig träumerische Bitternis der Lippen im Silberbart, die in die Tiefe der Erinnerung und des Gedankens drängenden und sich wühlenden braunen Greisenaugen, deren in sich gewendeter und tauber Blick so sehr von unten kam, daß er sich in den überhängenden Brauen fast verfing ... Gefühlsmenschen sind ausdrucksvoll, denn Ausdruck entspringt dem Geltungsbedürfnis des Gefühls, das unverschwiegen und ohne Hemmung hervortritt; er ist das Erzeugnis einer weichen Seelengröße, in welcher das Schlaffe und das Kühne, das Unkeusche und Hochherzige, das Natürliche und Gewollte zur würdigsten Schauspielerei sich mischen und deren menschliche Wirkung eine zu leichter Heiterkeit geneigte Ehrfurcht sein mag. Jaakob war sehr ausdrucksvoll – zur Freude Josephs, der diese bewegte Hochgestimmtheit liebte und stolz darauf war, aber zur Beängstigung und Erschütterung anderer, die in Handel und Wandel mit ihm zu tun hatten, und namentlich seiner übrigen Söhne, die bei jeder Unstimmigkeit zwischen ihnen und dem Vater nichts so sehr fürchteten als eben seine Ausdruckskraft. So Ruben, als er anläßlich der schlimmen Geschichte mit Bilha sich dem Alten hatte stellen müssen.
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