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Joseph und seine Brüder: Vier Romane in einem Band (Fischer Klassik Plus) (German Edition)

Joseph und seine Brüder: Vier Romane in einem Band (Fischer Klassik Plus) (German Edition)

Titel: Joseph und seine Brüder: Vier Romane in einem Band (Fischer Klassik Plus) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Mann
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Denn obgleich Schrecken und Ehrfurcht vor dem hochgetriebenen Ausdruck damals tiefer und dunkler waren als unter uns, so erfüllte den Alltagsmenschen, dem solche Wirkungen drohten, auch damals das Gefühl banausischer Abwehr, das wir in die Worte kleiden würden: »Um des Himmels willen, das kann gut werden!«
    Jaakobs Ausdrucksmacht nun aber, auch die Bewegtheit seiner Stimme, die Gehobenheit seiner Sprache, die Feierlichkeit seines Wesens überhaupt – hing mit der Anlage und Neigung zusammen, die zugleich der Grund war, weshalb man den starken und malerischen Ausdruck des Sinnens so oft an ihm zu beobachten hatte. Es war der Hang zur Gedankenverbindung, welcher sein Innenleben in dem Grade beherrschte, daß er geradezu seine Form ausmachte und sein Denken fast schlechthin aufging in solchen Assoziationen. Auf Schritt und Tritt wurde seine Seele durch Anklänge und Entsprechungen betroffen gemacht, abgelenkt und ins Weitläufige entführt, die Vergangenes und Verkündetes in den Augenblick mischten und den Blick eben dergestalt verschwimmen und sich brechen ließen, wie es beim Grübeln geschieht. Das war beinahe ein Leiden, aber nicht ihm allein zuzuschreiben, sondern sehr weit verbreitet, wenn auch in verschiedenem Grade, so daß sich sagen ließe, in Jaakobs Welt habe geistige Würde und »Bedeutung« – das Wort nach seinem eigentlichsten Sinne genommen – sich nach dem Reichtum an mythischen Ideenverbindungen und nach der Kraft bestimmt, mit der sie den Augenblick durchdrangen. Wie hatte es doch so seltsam, hochgestimmt und bedeutsam geklungen, als der Alte mit halbem Worte seiner Besorgnis Ausdruck gegeben hatte, Joseph möchte in die Zisterne stürzen! Das kam aber daher, daß er die Brunnentiefe nicht denken konnte, ohne daß die Idee der Unterwelt und des Totenreiches sich in den Gedanken, ihn vertiefend und heiligend, einmengte, – diese Idee, die zwar nicht in seinen religiösen Meinungen, wohl aber in den Tiefen seiner Seele und Einbildungskraft, uralt mythisches Erbgut der Völker, das sie war, eine wichtige Rolle spielte: die Vorstellung des unteren Landes, in dem Usiri, der Zerstückelte, herrschte, des Ortes Namtars, des Pestgottes, des Königreichs der Schrecken, woher alle üblen Geister und Seuchen stammten. Es war die Welt, wohin die Gestirne hinabtauchten bei ihrem Untergange, um zur geregelten Stunde wieder daraus emporzusteigen, während kein Sterblicher, der zu diesem Hause den Pfad gewandelt, ihn wieder zurückfand. Es war der Ort des Kotes und der Exkremente, aber auch des Goldes und Reichtums; der Schoß, in den man das Samenkorn bettete und aus dem es als nährendes Getreide emporsproßte, das Land des Schwarzmondes, des Winters und verkohlten Sommers, wohin Tammuz, der lenzliche Schäfer, gesunken war und alljährlich wieder sank, wenn ihn der Eber geschlagen, so daß alle Zeugung versiegte und die beweinte Welt dürre lag, bis Ischtar, die Gattin und Mutter, Höllenfahrt hielt, ihn zu suchen, die staubbedeckten Riegel des Gefängnisses brach und den geliebten Schönen unter großem Lachen aus Höhle und Grube hervorführte, als Herrn der neuen Zeit und der frisch beblümten Flur.
    Wie hätte Jaakobs Stimme nicht gefühlsbewegt beben und wie seine Frage nicht seltsam bedeutenden Widerhall gewinnen sollen, da er doch, nicht seiner Meinung, aber seinem Gefühle nach, im Brunnen einen Eingang zur Unterwelt sah und da dies alles und noch mehr in ihm anklang beim Stichwort der Tiefe? Ein Dummer und Ungebildeter von bedeutungsloser Seele mochte ein solches Wort stumpfsinnig und ohne Beziehung hinsprechen, nichts als das Nächste und Eigentliche dabei im Sinne haben. Dem Wesen Jaakobs verlieh es Würde und geistige Feierlichkeit, machte es ausdrucksvoll bis zur Beängstigung. Es ist nicht zu sagen, wie es dem fehlbaren Ruben durch Mark und Bein gegangen war, als der Vater ihm seinerzeit den anrüchigen Namen des Cham entgegengeschleudert hatte. Denn Jaakob war nicht der Mann, sich dieses Schimpfs etwa nur im Sinne einer matten Anspielung zu bedienen. Seine Geistesmacht bewirkte ein furchtbares Aufgehen der Gegenwart im Vergangenen, das völlige Wiederinkrafttreten des einst Geschehenen, seine, des Jaakob, persönliche Einerleiheit mit Noah, dem belauschten, verhöhnten, von Sohneshand entehrten Vater; und Ruben hatte auch im voraus gewußt, daß es so sein und daß er ganz wirklich und eigentlich als Cham vor Noah liegen werde, und ebendeshalb hatte ihm so gründlich vor dem Auftritt

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