Joseph und seine Brüder: Vier Romane in einem Band (Fischer Klassik Plus) (German Edition)
Gefühlsdingen und Dingen der Vorliebe: El eljons Auserwählung und Bevorzugung einzelner ohne oder jedenfalls über ihr Verdienst war großherrlich, schwer begreiflich und nach menschlichem Begriffe ungerecht, eine erhabene Gefühlsgegebenheit, an der nicht zu deuteln war, sondern die es mit Schrecken und Begeisterung im Staub zu verehren galt; und Jaakob, selbst ein bewußter – wenn auch in Demut und Bangen bewußter – Gegenstand solcher Prädilektion, ahmte Gott nach, indem er auf der seinen üppig bestand und ihr die Zügel schießen ließ.
Des Gefühlsmenschen weiche Unbeherrschtheit war das Erbe, das Joseph vom Vater überkommen hatte. Wir werden von dem Unvermögen, seine Erfülltheit zu bezähmen, dem Mangel an Takt, der ihm so äußerst gefährlich wurde, noch zu berichten haben. Er war es gewesen, der, neunjährig, ein Kind noch, den stürmischen, aber guten Ruben beim Vater verklagt hatte, weil jener, im Jähzorn darüber, daß Jaakob nach Rahels Tod sein Bett nicht bei Lea, Rubens Mutter, die immer mit ihren roten Augen verschmäht im Zelte kauerte, sondern bei Bilha, der Magd, aufschlug und diese zur Lieblingsfrau machte, das väterliche Lager von der neuen Stätte gerissen und es unter Verwünschungen mißhandelt hatte. Es war eine rasche Tat, begangen aus beleidigtem Sohnesstolz, begangen für Lea und bald bereut. Man hätte das Bett in der Stille wieder aufrichten können, und Jaakob hätte von dem Geschehenen nichts zu erfahren brauchen. Aber Joseph, der Zeuge gewesen, hatte nichts Eiligeres zu tun gehabt, als es dem Vater zu hinterbringen, und es war seit dieser Stunde, daß Jaakob, der selbst die Erstgeburt nicht von Natur, sondern nur dem Namen nach und rechtlich besaß, den Plan erwog, Ruben der seinen durch Fluchspruch zu entkleiden, nicht aber etwa den Nächstältesten, Lea’s Zweiten, also Schimeon, in diese Würde nachrücken zu lassen, sondern, in willkürlichster Gefühlsfreiheit, Rahels Erstling, den Joseph.
Die Brüder taten dem Jungen unrecht, wenn sie behaupteten, seine Schwatzhaftigkeit habe auf solche väterlichen Entschlüsse abgezielt. Er hatte eben nur nicht schweigen können. Daß er es aber, da ihm nun Vorhaben und Vorwurf bekannt waren, bei nächster Gelegenheit wieder nicht konnte, war desto schwerer verzeihlich und gab dem Verdachte der älteren die stärkste Nahrung. Es ist wenig bekannt, wie Jaakob es erfuhr, daß Ruben mit Bilha »gescherzt« habe.
Da war eine Geschichte, viel schlimmer wie die mit der Lagerstatt, geschehen, noch bevor man bei Hebron sich niederließ, an einer Station zwischen diesem und Beth-el. Ruben, damals einundzwanzigjährig, hatte sich im Überschwall seiner Kräfte und Triebe des Weibes seines Vaters nicht zu enthalten vermocht, – derselben Bilha, der er doch um der zurückgesetzten Lea willen so bitter gram war. Er hatte sie im Bade belauscht, ursprünglich aus Zufall, dann aus dem Vergnügen, sie ohne ihr Wissen zu demütigen, dann mit überhandnehmender Lust. Eine jähe und brutale Begierde nach Bilha’s reifen, aber kunstvoll unterhaltenen Reizen, nach ihren noch starren Brüsten, ihrem zierlichen Bauch, hatte den starken Jüngling gepackt, und seine Besessenheit war durch keine Magd, keine seinem Wink gehorsame Sklavin zu stillen gewesen. Er schlich sich ein bei seines Vaters Kebsweib und gegenwärtigen Lieblingsfrau, er überrumpelte sie, und wenn er ihr nicht Gewalt antat, so verführte er die vor Jaakob Zitternde doch durch seine strotzende Kraft und Jugend.
Von dieser Szene der Leidenschaft, der Angst und des Fehltrittes hatte der müßig, wenn auch nicht gerade mit der Absicht, zu spionieren, herumlungernde Knabe Joseph genug erlauscht, um dem Vater mit einfältigem Eifer, als eine mitteilenswerte Seltsamkeit, berichten zu können, Ruben habe mit Bilha »gescherzt« und »gelacht«. Er gebrauchte diese Ausdrücke, die ihrem Wortsinn nach weniger besagten, als er verstanden hatte, nach ihrer landläufigen zweiten Bedeutung aber alles. Jaakob erbleichte und keuchte. Wenige Minuten, nachdem der Knabe ausgeschwatzt, lag Bilha wimmernd vor dem Stammesherrn und gestand, indem sie sich mit den Nägeln die Brüste zerriß, die Ruben verwirrt hatten und die nun für ihren Gebieter auf immer befleckt und unberührbar waren. Dann aber lag dort der Missetäter selbst, zum Zeichen der Demütigung und Preisgabe nur mit einem Sacke gegürtet, und ließ, indem er die Hände über das weggewühlte, mit Staub bestreute Haupt erhob, in wahrster
Weitere Kostenlose Bücher