Joseph und seine Brüder: Vier Romane in einem Band (Fischer Klassik Plus) (German Edition)
hatten: der Vater erfuhr es von seinem Gunstkind. Er erfuhr von ihm sogar Falsches, was gar keinen Verstand hatte und was er Josephs schönen Augen dennoch zu glauben geneigt war. Dieser behauptete, von den Brüdern hätten etliche wiederholt aus dem Fleische lebender Widder und Schafe Stücke herausgeschnitten, um sie zu essen, und das hätten die vier von den Kebsweibern getan, in besonderer Ausgiebigkeit aber Ascher, der in der Tat ein Vielfraß war. Aschers Appetit war das einzige, was für eine Bezichtigung sprach, die an und für sich höchst unglaubwürdig erschien und deren Wahrheit den vieren auch niemals hatte nachgewiesen werden können. Es war eine Verleumdung, sachlich gesprochen. Von Joseph aus gesehen, verdiente der Fall diesen Namen vielleicht nicht ganz. Wahrscheinlich hatte ihm die Geschichte geträumt; oder richtiger, zu einem Zeitpunkt, da er mit Fug und Recht auf Prügel gefaßt gewesen, hatte er sie sich träumen lassen, um hinter ihr beim Vater Schutz gegen solche Absichten zu suchen, und zwischen Wahrheit und bloßem Gesicht dann nicht recht unterscheiden können und wollen. Es versteht sich aber, daß in diesem Falle die Entrüstung der Brüder sich besonders üppig gebärdete. Sie führte den Freibrief der Unschuld und pochte auf ihn fast etwas zu stürmisch, wie wenn er doch nicht ganz unbedingt gelautet und den Einbildungen Josephs dennoch irgend etwas Wahres zum Grunde gelegen hätte. Wir erbittern uns am meisten über Beschuldigungen, die zwar falsch sind, aber nicht gänzlich. –
Der Name
Jaakob hatte auffahren wollen bei der Nachricht von üblen Namen, die Gad dem Joseph gegeben und die der Alte sofort als eine strafbare Mißachtung seines heiligen Gefühles zu betrachten bereit war. Aber Joseph hatte eine so reizende Art, mit rasch erheiterter Miene und gewandten Wortes einzulenken, abzuwiegeln und weiterzugehen, daß Jaakobs Zorn sich legte, ehe er sich recht erhoben, und er nur fortfahren konnte, mit verträumtem Lächeln in die schwarzen und etwas schiefen, von süßer List verkleinerten Augen des Sprechenden zu blicken.
»Es war nichts«, hörte er die herbe und schmächtige Stimme sagen, die er liebte, da viel von Rahels Stimmklang in ihr war. »Ich habe ihm seine Rauhigkeit brüderlich verwiesen, und da er sich die Mahnung mit Einsicht gefallen ließ, so ist es sein Verdienst, daß wir sanft auseinander kamen. Ich bin gegangen, die Stadt zu sehen vom Hügel und Ephrons doppeltes Haus; ich habe mich hier mit Wasser gereinigt und im Gebet, und was den Löwen betrifft, mit welchem das Väterchen mich zu bedrohen geruhte, den Unterwelts-Wüstling, die Schwarzmond-Brut, so ist er geblieben im Dickicht des Jardên« (er sprach den Namen des Flusses mit anderen Vokalen als wir, nannte ihn »Jardên«, indem er das r zwar am Gaumen bildete, aber nicht rollen ließ und das e ziemlich offen nahm) »und hat sein Nachtmahl gefunden in den Schlüften des Absturzes, und des Kindes Augen haben ihn nicht erblickt, weder nah noch fern.«
Er nannte sich selber »das Kind«, weil er wußte, daß er den Vater mit diesem Namen, der ihm aus früheren Tagen geblieben war, besonders rührte. Er fuhr fort:
»Wäre er aber gekommen mit schlagendem Schweif, und hätte seine Stimme vor Hunger gedröhnt wie die Stimmen der Seraphim beim Lobgesang, so hätte der Knabe sich doch nur leicht entsetzt oder gar nicht vor seinem Grimm. Denn gewiß hätte er sich wieder ans Lämmlein gemacht, der Räuber, gesetzt, daß Aldmodad ihn nicht vertrieben hätte mit Rasseln und Feuerflammen, und hätte den Menschenknaben klüglich gemieden. Weiß denn mein Väterchen nicht, daß die Tiere den Menschen scheuen und meiden, darum, daß Gott ihm den Geist des Verstandes verlieh und ihm eingab die Ordnungen, unter welche das einzelne fällt, und weiß er nicht, wie Semael schrie, als der Erdmensch die Schöpfung zu nennen wußte, als ob er ihr Meister und Urheber sei, und wie alle feurigen Diener sich verwunderten und die Augen niederschlugen, weil sie zwar sehr gut ›Heilig, heilig!‹ zu rufen vermögen in abgestuften Chören, von den Ordnungen und Überordnungen aber gar nichts verstehen? Auch die Tiere schämen sich und kneifen den Schwanz ein, weil wir sie wissen und über ihren Namen befehlen und die brüllende Gegenwart ihres Einzeltums entkräften, indem wir ihn ihr entgegenhalten. Wäre er nur gekommen mit Fauchen und gehässiger Nase, lang schleichenden Trittes, so hätte er mir doch den Sinn nicht geraubt mit
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