Joseph und seine Brüder: Vier Romane in einem Band (Fischer Klassik Plus) (German Edition)
dessen Weltverstand wir anrufen zugunsten unserer Unschuld. Ich spreche, aber wenn ich meinen Worten nachhorche, so wird mir bange, sie könnten dir klingen, als ob ich gegen meine Verdächtigkeit eine Weihe ins Feld führte, die so groß und tief ist, daß sie gleichsam schon etwas ins Bedenkliche spielt und darum nicht mehr zur Widerlegung der Verdächtigkeit taugt. Ich bitte dich, nimm all deinen Verstand zusammen und verirre dich nicht in die Meinung, daß die Über-Stärke eines Beweises ihn zur Ohnmacht verdamme als Beweis oder gar bewirke, daß er das Gegenteil beweist! Es wäre schrecklich und für die Gesundheit deines Urteils gefährlich, wenn du auf solche Gedanken kämest! Sieh mich an – wenn auch ich dich nicht ansehe, sondern nach meinen Beweisen blicke. Ich – schuldig? Ich – in eine solche Sache verwickelt? Bin ich nicht der Oberste des Brotes, der Diener der irrenden Mutter, die mit der Fackel die Tochter sucht, der Fruchtbringerin, Allgeberin, der Erwärmenden, Grünenden, die das betäubende Blut zurückwies und dem Mehltrank den Vorzug gab, die den Menschen den Weizensamen und den Samen der Gerste brachte und zuerst mit gebogenem Pfluge die Scholle brach, daß mit milderer Nahrung mildere Sitte daraus hervorging, da vordem die Menschen Schilfknollen fraßen oder auch einer den anderen? Ihr gehöre ich und stehe heilig für sie, die im Wind auf der Tenne Körner und Spreu auseinander worfelt und das Ehrbare vom Unehrbaren sondert, der Gesetzgeberin, welche das Recht stiftet und maßregelt die Willkür. Überlege nun danach verstandesmäßig, ob ich mich eingelassen haben kann auf eine so finstere Sache! Sprich dein Urteil auf Grund dieser Ungereimtheit, welche nicht so sehr darauf beruht, daß die Sache finster ist, denn auch das Recht, gleich dem Brote, ist eine Sache der Finsternis und an den Schoß gebunden, der unten ist, wo die Rachegöttinnen wohnen, also daß man das heilige Gesetz den Hund der Göttin nennen könnte, noch umso eher, als der Hund in der Tat das ihr heilige Tier ist, von wo aus gesehen man auch mich, der ihr ebenfalls heilig ist, einen Hund nennen könnte ...«
Hier erschrak er wieder fürchterlich, indem er die Augäpfel in die entgegengesetzten Winkel warf, und versicherte, daß er dies nicht habe sagen oder nicht so habe sagen wollen. Aber Joseph bat sie beschwichtigend alle beide, sie möchten es doch gut sein lassen und sich nicht so in Unkosten stürzen um seinetwillen. Er wisse es zu schätzen, sagte er, und sei geehrt, daß sie ihm ihre Sache vortrügen, oder wenn nicht die Sache, so doch die Gründe, weshalb es nicht ihre Sache gewesen sein könne. Noch weniger aber sei es seine Sache, sich aufzuwerfen zum Richter über sie, sondern nur zu ihrem Aufwärter sei er bestellt, der nach ihren Befehlen frage, wie sie’s gewohnt seien. Freilich seien sie überdies gewohnt, daß diese Befehle auch ausgeführt würden, wozu er zu seinem Leidwesen meistens nicht in der Lage sei. Aber wenigstens zur Hälfte hätten sie es auf diese Weise doch, wie sie’s gewohnt seien. Und er fragte, ob er das Vergnügen habe, noch irgend einen Befehl der Herren mit auf den Weg zu nehmen.
Nein, sagten sie traurig, sie wüßten nichts; es fielen einem gar keine Befehle mehr ein, wenn man wisse, daß sie doch keine Folgen hätten. Ach, aber warum er schon gehen wolle! Er solle ihnen lieber sagen, wie lange er meine, daß die Untersuchung ihrer Sache sich wohl hinziehen werde, und wie lange sie in diesem Loche würden auszuharren haben.
Er würde es ihnen sofort getreulich sagen, erwiderte er, wenn er es wüßte. Aber er wisse es begreiflicherweise nicht, und nur einen Überschlag der Vermutung könne er machen: zu dem Ende und unverbindlichen Resultat, daß es dreißig und zehn Tage im Ganzen wohl höchstens und mindestens dauern werde, bis ihnen das Los falle.
»Ach, wie lange!« klagte der Mundschenk.
»Ach, wie kurz!« rief der Bäcker, erschrak aber sogleich entsetzlich über seinen Ruf und versicherte, daß er ebenfalls ›wie lang!‹ habe sagen wollen. Aber der Mundschenk dachte nach und bemerkte, Josephs Überschlag und Kalkulation habe tatsächlich Hand und Fuß; denn über dreißig und sieben und drei Tagen, von ihrer Ankunft gerechnet, sei ja Pharao’s schöner Geburtstag, und das sei bekanntlich ein Tag der Gnade und des Gerichtes, an welchem auch ihnen mit vieler Wahrscheinlichkeit der Spruch wohl fallen möge.
»Ich habe es meines Wissens nicht bedacht«, antwortete
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