Joseph und seine Brüder: Vier Romane in einem Band (Fischer Klassik Plus) (German Edition)
Joseph, »und meine Kalkulation nicht darauf errichtet, sondern es war nur eben so eine Eingebung. Da sich aber nun herausstellt, daß genau auf diesen Zeitpunkt Pharao’s Großer Geburtstag fällt, so seht ihr wohl, daß, was ich sagte, schon anfängt, in Erfüllung zu gehen.«
Vom stechenden Wurm
Damit ging er und schüttelte den Kopf über seine beiden Pflegebefohlenen und über ihre »Sache«, von der ihm schon damals mehr bekannt war, als er sich den Anschein geben durfte. Denn es durfte sich niemand in beiden Ländern den Anschein geben und sich vermessen, mehr davon zu wissen, als den Menschen für zuträglich erachtet wurde; dennoch aber war nicht zu verhindern, daß sich die gefährliche Angelegenheit, so dicht sie von oben her in eine Wolke von Umschreibungen und Vertuschungen, von »Fliegen« und »Kreidestücken« und unkenntlich gemachten Namen wie »Gottverhaßt« und »Wêsets Abhub« gehüllt wurde, sich sehr bald im ganzen Reiche nach seiner Länge und Breite herumsprach und jedermann, mochte er sich auch der vorgeschriebenen Wendungen dafür bedienen, in Kürze Bescheid wußte, was hinter diesen Verkleinerungen und Beschönigungen steckte: eine Geschichte, die bei aller Schaurigkeit der populären Anmutung, um nicht zu sagen eines festlichen Gepräges nicht entbehrte, da sie als die Wiederholung und Wiederkehr, kurzum als das Gegenwärtigwerden eines uralt gegründeten und vertrauten Vorganges erschien.
Gerade herausgesagt hatte man Pharao nach dem Leben getrachtet – und dies obgleich die Tage der Majestät dieses alten Gottes offenkundig ohnedies gezählt waren und, wie ihr wißt, Ihre Neigung, sich wieder mit der Sonne zu vereinigen, weder durch die Verordnungen der Zauberer und Körpergelehrten des Bücherhauses, noch sogar durch die Ischtar des Weges hatte aufgehalten werden können, die Ihr Bruder und Schwäher vom Euphrat, Tuschratta, König über das Land Chanigalbat oder Mitanniland, Ihr sorglicherweise gesandt hatte. Daß aber das große Haus, Si-Rê, der Sohn der Sonne und der Herr der Diademe, Neb-ma-Rê-Amenhotep, alt und krank war und kaum noch Luft bekam, war kein Grund dagegen, daß man ihm etwas antäte, sondern es war, wenn man wollte, ein sehr guter Grund dafür , so schaurig natürlich gleichwohl das Unternehmen blieb.
Allbekannt nämlich war, daß ganz ursprünglich Rê selbst, der Sonnengott, König beider Länder oder vielmehr Herrscher auf Erden und über alle Menschen gewesen war und sie im hehrsten Segensglanze regiert hatte, solange seine Jahre noch jung, vollmännlich und spätmännlich gewesen waren, ja, noch bedeutende Zeitstrecken in sein beginnendes und sich erhöhendes Greisenalter hinein. Erst als er höchst greis geworden war und schmerzliche Beschwerden und Gebrechen des Alters, wenn auch in kostbarer Form, der Majestät dieses Gottes genaht waren, hatte er für gut befunden, der Erde abzudanken und sich ins Obere zurückzuziehen. Denn allmählich waren seine Knochen zu Silber, sein Fleisch zu Gold, seine Haare aber zu echtem Lapislazuli geworden, eine sehr schöne Form der Altersversteifung, die aber trotzdem mit allerlei Pein und Krankheit verbunden gewesen war, gegen welche die Götter selbst tausend Heilmittel auszufinden sich bemüht hatten, allein vergebens, da gegen die Versilberung, Vergoldung und Versteinerung eines so hohen Alters kein Kraut gewachsen ist. Aber selbst unter diesen Umständen noch immer hatte der greise Rê an seiner irdischen Herrschaft festgehalten, obgleich er hätte wahrnehmen müssen, daß diese angesichts seiner Altersschwäche sich zu lockern und Furchtlosigkeit, ja – Frechheit rings um ihn her einzureißen begonnen hatte.
Isis zumal, die Große der Insel, Eset, listenreicher als Millionen Wesen, erachtete damals ihre Stunde für gekommen. Ihr Wissen umfaßte Himmel und Erde, wie dasjenige Rê's selbst, des überalterten Königs. Nur eines wußte sie nicht und gebot zur Beeinträchtigung ihrer Wissenschaft nicht darüber: das war der letzte und geheimste Name des Rê, sein äußerster, durch dessen Kenntnis man Gewalt über ihn gewann. Denn er hatte sehr viele, die der Reihe nach immer geheimer wurden, sich aber doch der Erforschung nicht ganz entzogen. Den allerletzten nur und gewaltigsten gab er überhaupt nicht her, und wem er den hätte nennen müssen, der hätte ihn bezwungen und ewig überschwungen, ihn unter sich gebracht durch höchste Wissensmacht.
Darum erdachte und erschuf Eset einen stechenden Wurm, der Rê
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