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Joseph und seine Brüder: Vier Romane in einem Band (Fischer Klassik Plus) (German Edition)

Joseph und seine Brüder: Vier Romane in einem Band (Fischer Klassik Plus) (German Edition)

Titel: Joseph und seine Brüder: Vier Romane in einem Band (Fischer Klassik Plus) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Mann
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eine verheißungsvoll vorgeschriebene Zahl: denn zweiundsiebzig Verschwörer waren es einst gewesen, die mit dem roten Set den Usir in die Lade gelockt hatten, und auch diese wiederum schon hatten gut kosmische Gründe dafür gehabt, an Zahl nicht mehr und nicht weniger zu sein als zweiundsiebzig. Denn soviele Fünferwochen sind es ja, welche die dreihundertsechzig Tage des Jahres machen, ohne die Übertage; und zweiundsiebzig Tage hat das dürre Fünftel des Jahres, wenn der Pegel den tiefsten Stand des Ernährers zeigt und der Gott in sein Grab sinkt. Wo also eine Verschwörung stattfindet in der Welt, da ist es üblich und nötig, daß die Zahl der Verschwörer zweiundsiebzig betrage. Und wenn der Anschlag ein Fehlschlag ist, so kann man sicher sein, daß er, wäre diese Zahl nicht eingehalten worden, noch viel gründlicher fehlgeschlagen wäre.
    Der gegenwärtige nun war fehlgeschlagen, obgleich er von bestem Vorbilde eingegeben war und alle Anstalten dazu mit größter Umsicht waren getroffen worden. Dem Obersten der Salben war es sogar gelungen, eine Zauberschrift aus Pharao’s Bücherei zu entwenden und nach ihren Angaben gewisse Wachsbildchen herzustellen, die, da und dorthin geschmuggelt, durch die Erzeugung magischer Verwirrung und Verblendung, dem Unternehmen zustattenkommen mußten. Beschlossen war, Pharao im Brot oder Wein oder in beiden zugleich zu vergeben und den daraus erwachsenden Wirrwarr zu einem schlagenden Streich im Palaste zu benützen, welcher, verbunden mit einem Aufstande der drüberen Stadt, zur Ausrufung der neuen Zeit und zur Erhebung des Bastärdchens Noferka-Ptach auf den Thron der Länder geführt hätte. Und dann war alles aufgeflogen. Sei es, daß einer der zweiundsiebzig sich im letzten Augenblick größeren Vorteil für seine Laufbahn und für die Schönheit der Schildereien in seinem Grabe davon versprochen hatte, wenn er die Treue wählte, oder daß ein polizeilicher Lockvogel sich anfangs gleich in die Beratungen eingeschlängelt hatte: die Liste der Verabredeten, peinlich genug zu lesen, da sich eine Reihe von wirklichen Herzensfreunden des Gottes und Betretern des Morgengemaches darunter befanden, war vor Pharao gekommen – im ganzen richtig, wenn auch von einzelnen Irrtümern und Verwechslungen nicht frei –, und die Gegenhandlungen waren schnell, leise und durchgreifend gewesen. Die Isis des Frauenhauses war geschwind von Eunuchen erwürgt, ihr Söhnchen ins äußerste Nubien versandt worden, und während ein geheimer Ausschuß zur Untersuchung des ganzen Planes und jeder Einzelschuld zusammentrat, waren die Bloßgestellten unter der Gesamtbezeichnung »Abscheu des Landes« und dazu noch unter grausamer Entstellung ihrer Eigennamen in verschiedenen Gewahrsamen verschwunden, wo sie unter ungewohnten Bedingungen ihrem Schicksal entgegenharrten.
    So aber waren Pharao’s Oberster Bäcker und Mundschenk in das Gefängnis geraten, wo Joseph gefangen lag.
    Joseph hilft aus als Deuter
    Als sie nun schon dreißig und sieben Tage daselbst gesessen hatten und Joseph ihnen wie immer am Morgen aufwartete, um sich zu erkundigen, wie sie geruht hätten, und nach ihren Befehlen zu fragen, fand er die Herren in einer Gemütsverfassung, die zugleich erregt, bedrückt und verärgert zu nennen war. Sie hatten schon angefangen, sich an ihren vereinfachten Zustand zu gewöhnen, und aufgehört zu jammern; denn es ist nicht nötig, daß der Mensch lebe, wie sie gelebt hatten, zwischen Blaustein und Grünstein und mit Dienern zum Krauen der Fußsohlen, sondern mit einem Badeplatz zur Rechten und einem Abtritt zur Linken und etwas Gelegenheit zum Pfeileschießen und Neunestürzen statt der herrschaftlichen Vogeljagd geht es schließlich auch ganz gut. Heute aber zeigten sie sich ausgesprochen rückfällig in der Verwöhntheit und ergingen sich, sobald nur Joseph zu ihnen getreten war, in den alten bitteren Klagen darüber, wie ihnen doch alles und selbst das Notwendigste abgehe, und wie sich ihr Leben dahier, so redlich sie auch sich mit ihm zu befreunden versucht hätten, doch immer wieder als ein Hundeleben herausstelle.
    Sie hätten geträumt diese Nacht, sagten sie auf Josephs teilnehmende Frage, beide gleichzeitig, ein jeglicher seinen eigenen Traum; und es seien Träume von der sprechendsten Lebendigkeit gewesen, höchst eindringlich, unvergeßlich und von ganz eigentümlichem Geschmack für die Seele, wahre Sinn-Träume mit dem Zeichen »Versteh’ mich recht« an der Stirne, und welche

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