Joseph und seine Brüder: Vier Romane in einem Band (Fischer Klassik Plus) (German Edition)
gleichkomme ... Kurzum, es herrschte in diesem Betracht die abergläubischste Ignoranz unter ihnen, und nur der Tatsache, daß es in der ganzen umringenden Welt mit der Aufklärung damals nicht besser und teilweise noch schlechter stand, hatten sie es zu danken, daß sie bei solcher Unwissenheit überhaupt durchs Leben kamen. Es ist wahr, daß sie trotz ihrer ein prächtiges und mächtiges, allseits bewundertes und mehreren Jahrtausenden trotzendes Reich errichteten, viele schöne Dinge hervorbrachten und besonders den Gegenstand ihrer Unbelehrtheit, nämlich den Nährstrom, recht ingeniös zu bewirtschaften wußten. Dennoch bleibt es uns, die wir so viel besser, ja vollkommen Bescheid wissen, ein Bedauern, daß niemand von uns damals zur Stelle war, um das Dunkel ihres Geistes zu lichten und ihnen über die wahre Bewandtnis, die es mit dem Wasser Ägyptens hat, erleuchtete Auskunft zu geben. Welch Aufsehen hätte in den Priesterschulen und gelehrten Körperschaften des Landes die Nachricht gemacht, daß Chapi, weit entfernt, aus einer Unterwelt zu stammen, die selbst als Vorurteil abgelehnt werden muß, nichts ist, als der Abfluß der großen Seen im tropischen Afrika, und daß der Speisegott, um zu werden, der er ist, erst einmal sich selber speisen muß, indem er alle Gewässer aufnimmt, die von den äthiopischen Alpen sich gegen Abend ergießen. Da stürzen zur Regenzeit Gebirgsbäche, mit fein zerriebenem Gesteinsschutt gesättigt, von den Bergen herab und sammeln sich in den beiden Läufen, die sozusagen das Vorleben des zukünftigen Stromes ausmachen: dem Blauen Nil und dem Atbâra, welche erst örtlich-später, bei Chartum und Berber, gemeinsam zu Bette gehen, und zum Nil schlechthin, dem schöpferischen Strome werden. Denn dieses Einheitsbett wird um die Mitte des Sommers allmählich mit solchen Wassermassen und darin aufgelöstem Schlamm erfüllt, daß der Fluß breithin über die Ufer tritt, was eben ihm den Namen des Überschwänglichen eingetragen hat; und Monate währt es, bis er, ebenso allmählich, wieder eingekehrt ist zwischen seine Schwellen. Die Schlammkruste aber, der Rückstand seines Überschwanges, bildet, wie auch die Priesterschulen wußten, den Fruchtboden Keme’s.
Erstaunt und vielleicht gegen die Wahrheitsverkünder erbittert wären sie gewesen zu hören, daß der Nil nicht von unten, sondern von oben kommt, – im Grunde von ebenso hoch oben herab, wie der Regen, der in anderen, weniger kuriosen Ländern seine befruchtende Rolle spielt. Dort, pflegten sie zu sagen, in den elenden Fremdländern, sei der Nil an den Himmel gesetzt, womit sie eben den Regen meinten. Und man muß zugestehen, daß eine überraschende, der Aufklärung nahe kommende Einsicht sich in der blumigen Redeweise ausdrückt: die Einsicht nämlich in den Zusammenhang aller Wasserverhältnisse der Erde. Die Nil-Überschwemmung hängt ab von der Fülle der Regengüsse im Hochgebirge von Abessinien; diese Güsse aber kommen aus berstenden Wolken, welche sich über dem Mittelmeer bilden und vom Winde in jene Gegenden geführt werden. Gleichwie das Gedeihen Ägyptens durch einen glücklichen Pegelstand des Nil, so ist dasjenige Kanaans, des Landes Kenana, des oberen Retenu, wie es damals hieß, oder Palästina’s, wie unsere Aufgeklärtheit das Heimatland Josephs und seiner Väter geographisch bezeichnet, bedingt durch die Regen, die dort, wenn die Ordnung Stich hält, zweimal im Jahre fallen, die Frühregen im Spätherbst, die Spätregen im Frühjahr. Denn arm ist das Land an Quellen, und mit dem Wasser der tiefliegenden Flüsse ist nicht viel anzufangen. Alles kommt daher auf die Regen, besonders die Spätregen an, deren Wasser man schon in frühesten Zeiten zu sammeln pflegte. Bleiben sie aus, führen statt westlicher, feuchtender Winde solche des Ostens und Südens, Wüstenwinde das Regiment, so ist es um die Ernte geschehen, Dürre, Mißwuchs und Hungersnot greifen Platz – und nicht hier allein. Denn regnet’s zu Kanaan nicht, so gibts auch keine Güsse im Gebirge Äthiopiens, nicht stürzen die Wildbäche, die beiden Vorläufer des Ernährers werden nicht hinlänglich gespeist, daß er selber »groß« werden, wie die Kinder Ägyptens sagten, und die Kanäle füllen könnte, die das Wasser auf die höher gelegenen Äcker führen; Fehlernte und Mangel fallen auch auf das Land, wo der Nil nicht am Himmel sondern auf Erden ist, – und das ist der Zusammenhang aller wässerigen Dinge der Welt.
Ist man hierüber auch
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