Joseph und seine Brüder: Vier Romane in einem Band (Fischer Klassik Plus) (German Edition)
er:
»Verschreibung? Meine Freundin, es hat nie eine stattgefunden. Will ich damit sagen, daß ich nicht auch zu dem bloßen Wort meines Mundes stehe? Das will ich nicht. Aber ich hätte nicht gedacht, daß du darauf bestehen würdest, noch nach so langer Zeit, denn es war ein Wort der Vertröstung. Willst du noch so eins, so gebe ich’s dir, aber es sollte nicht nötig sein, und du solltest dich selbst schon getröstet haben. Zwar ist Shelah älter geworden, aber nur wenig, und bist ihm nun weiter voran, als du warst, da mein Wort dich vertröstete. Du könntest ja fast seine Mutter sein.«
»So, könnte ich das?« fragte sie. »Du weisest mir meinen Platz an, wie ich sehe.«
»Dein Platz«, sagte er, »ist meiner Meinung nach in deines Vaters Haus, daß du darin als Witwe bleibest und als ein Weib, das Leid trägt um zween Männer.«
Sie neigte sich und ging. Nun aber kommt’s.
Diese Frau war nicht so leicht auszuschalten, noch von der Bahn zu bringen – unsere Verblüffung wächst, je länger wir sie im Auge haben. Mit ihrer Stellung in der Zeit schaltete sie frei. Sie war hinabgestiegen in ihr zu den Enkeln, die sie verwünschte, da sie denen im Wege waren, die sie hätte hervorbringen wollen, – nun beschloß sie, aufs neue die Generation zu wechseln und wieder hinaufzusteigen, unter Umgehung des Einen, der noch übrig war vom Enkelgeschlecht, und den man ihr nicht überlassen wollte, daß er sie entweder auf die Bahn brächte oder stürbe. Denn ihr Funke durfte nicht ausgelöscht sein, noch litt sie’s, daß man sie vertilge vom Erbe Gottes.
Für Juda, Jaakobs Sohn, spielte die Sache sich ab, wie folgt. Nicht gar viele Tage nach dem Tag, da der Löwe wieder die Löwin gemacht und sich vor sein Junges gestellt, kam das Jahr um zu dem Punkt, wo Schafschur war und das Fest der Woll-Ernte, das die Hirten und Hüter der Gegend zu Trunk und Opferschmaus versammelte an wechselndem Ort, und war diesmal ein Platz ausersehen in den Bergen, Timnach genannt, dahin kamen die Hirten und Herren der Hürden von oben hinab und von unten hinauf, daß sie schüren und eine gute Zeit hätten. Juda aber ging hinauf zusammen mit Hirah von Odollam, seinem Freunde und Oberhirten, demselben, durch den er Schua’s Tochter kennen gelernt; denn sie wollten auch scheren und eine gute Zeit haben, wenigstens Hirah; denn Juda war nicht nach guter Zeit zu Mute, gar niemals. Er lebte in einer Hölle, zur Strafe für ehemals Mitbegangenes, und die Art, wie seine Söhne ums Leben gekommen waren, sah dieser Hölle recht ähnlich. Vergrämt war er um seine Erberwählung, und lieber hätte um seinetwillen das Jahr zu keinerlei Fest umkommen sollen und zu keiner guten Zeit; denn ist man ein Höllenknecht, so nimmt alle Festlichkeit doch nur das Wesen des Höllischen an und führt zu nichts, als daß man verunsäubert die Erberwählung. Aber was hilft’s? Nur wer am Leibe krank, ist vom Leben entschuldigt. Ist man nur krank im Gemüt, – das hat keine Gültigkeit, niemand versteht’s, und man muß teilnehmen am Leben und mit den anderen die Zeit halten. So hielt Juda mit bei der Schur zu Timnach drei Tage lang, opferte und schmauste.
Den Rückweg hinab in seine Gegend legte er allein zurück; er ging am liebsten allein. Daß er zu Fuße ging, wissen wir, denn er führte einen guten Knaufstock, der etwas wert war, und solchen braucht man nicht für ein Reittier, sondern zum Schreiten. An ihm schritt er die Pfade der Hügel hinab, zwischen Weinhängen und Ortschaften, im Spätglanz des Tages, der rötlich zur Rüste ging. Weg und Steg waren ihm wohl vertraut; da war auch Enam, die Stätte Enajim am Fuße der Höhen, wo er vorbeimußte, gen Ehesib und Odollam, purpurn angestrahlt Häuser, Lehmmauer und Tor von den feiernden Himmeln. Am Tore kauerte eine Gestalt; als er näher kam, sah er, daß sie in ein Ketônet paspasim, das Schleiergewand der Bestrickenden, gehüllt war.
Sein erster Gedanke war: Ich bin allein. Sein zweiter: Ich gehe vorüber. Sein dritter: Ins Untere mit ihr! Muß mir die Kedesche, die Freudennonne am friedlichen Heimweg sitzen? Es sieht mir ähnlich. Aber ich kümmere mich nicht darum, denn ich bin zweimal, der ich bin: der, dem’s ähnlich sieht, und der, der sich darüber erbittert, sich verleugnet und zornig vorübergeht. Das alte Lied! Muß es immer wieder gesungen sein? So singen angeschmiedete Rudersklaven aus stöhnender Brust bei der Fron. Droben sang ich’s ächzend mit einer Tanzdirne und sollte satt
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