Joseph und seine Brüder: Vier Romane in einem Band (Fischer Klassik Plus) (German Edition)
mit berechtigter Rührung inschriftweise in ihren Gräbern nachsagten, daß sie in Hungerzeiten des Königs Untertanen ernährt, den Witwen gegeben, und weder Groß noch Klein bevorzugt, nachher aber, wenn der Nil wieder groß gewesen, »nicht den Rückstand des Ackersmannes genommen«, das heißt: nicht auf Vorschüsse und gestundete Steuern gedrungen hätten. An diese Inschriften fand das Volk sich erinnert durch Josephs Geschäftsführung. Aber in solchem Maßstabe, mit so großer Vollmacht ausgestattet und unter so göttlicher Handhabung dieser Vollmacht, hatte noch kein Beamter seit den Tagen des Set sich als gut erwiesen. Das Korngeschäft, versehen von zehntausend Schreibern und Unter-Schreibern, erstreckte sich über ganz Oberund Unter-Ägypten, aber alle Fäden liefen zu Menfe im Amtspalaste des Schattenspenders und Alleinigen Freundes zusammen, und war keine letzte Entscheidung über Verkauf, Darlehen und Gift, die er nicht sich selber vorbehalten hätte. Es kamen vor ihn die Reichen und die viel Land hatten und schrieen vor ihm nach Saatfrucht: denen verkaufte er für ihr Silber und Gold, nicht ohne ihnen zur Auflage und Bedingung zu machen, daß sie ihr Bewässerungssystem auf die Höhe der Zeit brächten und es nicht länger in feudaler Rückständigkeit dahinschlampen ließen: darin bewährte sich seine Treue zu Pharao, dem Höchsten, in dessen Schatz das Silber und Gold der Reichen floß. Und es kam vor ihn das Geschrei der Armen nach Brot, denen ließ er austeilen aus den Vorräten für nichts und wieder nichts, daß sie äßen und nicht hungerten: darin bewährte sich seine Sympathie, diese Grundeigenschaft seines Gemütes, über deren Wesen wir weiter oben schon alles bestens gesagt haben, sodaß hier nicht not ist, darauf zurückzukommen. Daß sie mit dem Witz zu tun hatte, darauf möge immerhin kurz zurückgekommen sein. Und wirklich war etwas Witziges in seinem Geschäftssystem von Ausnutzung und Fürsorge, sodaß er denn auch in dieser Zeit trotz großer Arbeitsbürde immer sehr heiter war und daheim zu Asnath, seiner Gemahlin, der Sonnentochter, wiederholt die Äußerung tat: »Mädchen, ich lebe gern.«
Dem Ausland verkaufte er auch zu Teuerungspreisen, wie wir wissen, und sah Verzeichnisse an des Getreides, geliefert »den Edlen des elenden Retenu«. Denn viele Stadtkönige Kanaans, darunter der von Meggido und der von Schahuren, schickten zu ihm Getreide zu holen, und der Gesandte Askaluna’s kam und schrie vor ihm für seine Stadt und wurde beliefert, wenn auch nicht billig. Aber auch hier hielt Freundlichkeit der konjunkturalen Strenge die Waage, und hungernden Sandhasen, Hirtenstämmen von Syrien und dem Libanon, »Barbaren, die nicht zu leben wußten«, wie seine Schreiber es ausdrückten, erlaubte er, einzuwandern mit ihren Herden durch die sorgsam bewachten Zugänge des Landes und östlich des Stromes, wo es gegen die steinige Arabia geht, auf den feuchten Weiden von Zoan, am titanischen Arm, ihr Leben zu finden, wenn sie versprachen, das ihnen angewiesene Gebiet nicht zu überschreiten.
So las er Grenz-Rapporte von dieser Art: »Wir haben die Beduinen von Edom die Merneptach-Festung nach den Teichen des Merneptach passieren lassen, daß sie sich und ihr Vieh ernähren mögen auf dem großen Weideland des Pharao, der schönen Sonne der Länder.«
Er las es genau. Er las alle Grenzberichte genauestens, und höchst genau mußten sie sein nach seiner Willensweisung: die Buchführung der Sperren im Osten über alle Personen, die man durchließ ins kostbare Ägyptenland, das nun noch soviel kostbarer geworden war, – über jeden also, der aus dem Elend kam, um Getreide zu holen aus Pharao’s Kornkammer, unterlag auf seinen Befehl peinlichster Verschärfung, und die Grenz-Offiziere vom Schlage des Leutnants Hor-waz von der Feste Zel, des Schreibers der großen Tore, der einst Joseph selbst mit den Ismaelitern ins Land gelassen hatte, waren gehalten, ihren Verzeichnissen große Sorgfalt zu widmen und die Einreisenden nicht nur nach Heimat, Gewerbe und Namen, sondern auch nach ihres Vaters und dessen Vaters Namen zu protokollieren, die Listen aber täglich, pünktlich und eilig hinabzusenden nach Menfe in des Schattenspenders großes Geschäftshaus.
Dort wurden sie nochmals säuberlich geschrieben, auf zweimal gutes Papyr, mit roter und schwarzer Tinte, und wurden so vorgelegt dem Ernährer. Der aber, obgleich sonst noch hinlänglich beschäftigt, las sie täglich von oben bis unten
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