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Joseph und seine Brüder: Vier Romane in einem Band (Fischer Klassik Plus) (German Edition)

Joseph und seine Brüder: Vier Romane in einem Band (Fischer Klassik Plus) (German Edition)

Titel: Joseph und seine Brüder: Vier Romane in einem Band (Fischer Klassik Plus) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Mann
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zerriß, ist desselben nebelhaften Datums. Unsere geschichtlichen Aufzeichnungen reichen ungefähr siebentausend Jahre zurück; während dieser Zeit ist jedenfalls kein wildes Tier mehr nutzbar und häuslich gemacht worden. Das liegt vor jeder Erinnerung.
    Ebendort liegt die Veredelung wilder und tauber Gräser zum brottragenden Korne. Unsere Getreidearten, mit denen auch Joseph sich nährte, die Gerste, den Hafer, Roggen, Mais und Weizen, auf ihre wildwachsenden Originale zurückzuführen, erklärt unsere Pflanzenkunde sich mit dem größten Bedauern außerstande, und kein Volk kann sich rühmen, sie zuerst entwikkelt und gebaut zu haben. Wir hören, daß es zur Steinzeit in Europa fünf verschiedene Arten des Weizens und drei Arten Gerste gab. Und was die Züchtung des wilden Weines aus der Rebe betrifft, eine Tat sondergleichen, als menschliche Leistung genommen, wie man auch sonst darüber denken möge, so schreibt die abgründig weit herhallende Überlieferung sie Noah, dem Gerechten, zu, dem Überlebenden der Flut, demselben, den die Babylonier Utnapischtim und dazu Atrachasis, den Hochgescheiten, nannten und der seinem späten Enkel, Gilgamesch, dem Helden jener Tafel-Mären, die anfänglichen Dinge berichtete. Dieser Gerechte also hatte, wie auch Joseph wußte, zuallererst Weinberge gepflanzt, – was Joseph nicht sehr gerecht fand. Denn konnte er nicht pflanzen, was von Nutzen wäre? Feigenbäume oder Ölbäume? Nein, sondern Wein stellte er erstmals her, ward trunken davon und in der Trunkenheit verhöhnt und verschnitten. Wenn aber Joseph meinte, das sei gar nicht so lange her, daß das Ungeheuere geschehen und die Edelrebe entwickelt worden, etwa ein Dutzend Geschlechter vor seinem »Urgroßvater«, so war das ein ganz träumerischer Irrtum und eine fromme Heranziehung unausdenklicher Urferne, – wobei nur mit blassem Staunen darauf hinzuweisen bleibt, daß diese Urferne ihrerseits schon so spät, in solchem Abstande von den Ursprüngen des Menschengeschlechtes gelegen war, daß sie eine Hochgescheitheit zeitigen konnte, die solcher Gesittungstat wie der Veredelung des wilden Weines fähig war.
    Wo liegen die Anfangsgründe der menschlichen Gesittung? Wie alt ist diese? Wir fragen so in Hinsicht auf den fernen Joseph, dessen Entwicklungsstufe sich, abgesehen von kleinen träumerischen Ungenauigkeiten, über die wir freundschaftlich lächeln, von der unsrigen schon nicht mehr wesentlich unterschied. Diese Frage aber eben braucht nur gestellt zu werden, damit das Gebiet der Dünenkulissen sich äffend eröffne. Sprechen wir vom »Altertum«, so meinen wir meistens die griechisch-römische Lebenswelt und damit eine solche von vergleichsweise blitzblanker Neuzeitlichkeit. Zurückgehend auf die sogenannte griechische »Urbevölkerung«, die Pelasger, gewahren wir, daß, ehe sie die Inseln in Besitz nahmen, diese von der eigentlichen Urbevölkerung bewohnt waren, einem Menschenschlage, der den Phöniziern in der Beherrschung des Meeres voranging, somit diese in ihrer Eigenschaft als »erste Seeräuber« zu einer bloßen Kulisse macht. Damit nicht genug, neigt die Wissenschaft in zunehmendem Grade zu der Vermutung und Überzeugung, daß diese »Barbaren« Kolonisten von Atlantis waren, des versunkenen Erdteils jenseits der Säulen des Herkules, der vor Zeiten Europa und Amerika verband. Ob aber dieser die vom Menschen erstbesiedelte Gegend der Erde war, steht so sehr dahin, daß es sich der Unwahrscheinlichkeit nähert und vielmehr wahrscheinlich wird, daß die Frühgeschichte der Gesittung und auch diejenige Noahs, des Hochgescheiten, an weit ältere, schon viel früher dem Untergange verfallene Landgebiete anzuknüpfen ist.
    Das sind nicht zu erwandernde Vorgebirge, auf welche nur mit jener ägyptischen Redensart unbestimmt hinzudeuten ist, und die Völker des Ostens handelten so klug wie fromm, wenn sie ihre erste Erziehung zum Kulturleben den Göttern zuschrieben. Die rötlichen Leute von Mizraim sahen in jenem Dulder Usiri den Wohltäter, der sie zuerst im Ackerbau unterrichtet und ihnen Gesetze gegeben hatte, worin er eben nur durch den tückischen Anschlag des Set unterbrochen worden war, der sich dann wie ein reißender Eber gegen ihn benahm. Und die Chinesen erblicken den Gründer ihres Reiches in einem kaiserlichen Halbgott namens Fu-hi, welcher das Rind bei ihnen eingeführt und sie die köstliche Schreibkunst gelehrt habe. Die Astronomie zu empfangen erachtete dieses Wesen sie damals, 2852 vor

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