Joseph und seine Brüder: Vier Romane in einem Band (Fischer Klassik Plus) (German Edition)
Gestirnvertretung handelten und einen Himmelskörper für den anderen setzten, zum Beispiel die Sonne, wenn sie untergegangen war, mit dem Staats- und Kriegsplaneten Ninurtu, oder den Planeten Mardug mit dem Skorpionbilde vertauschten, indem sie dieses dann schlankerhand »Mardug« und den Ninurtu »Sonne« nannten; er tat es im Sinne praktischen Notbehelfs, denn sein Wunsch, dem Geschehen, dem er angehörte, einen Anfang zu setzen, begegnete derselben Schwierigkeit, auf welche ein solches Bemühen immer stößt: der Schwierigkeit eben, daß jeder einen Vater hat und daß kein Ding zuerst und von selber ist, Ursache seiner selbst, sondern ein jedes gezeugt ist und rückwärts weist, tiefer hinab in die Anfangsgründe, die Gründe und Abgründe des Brunnens der Vergangenheit. Joseph wußte natürlich, daß auch des Ur-Mannes Vater, der wahre Mann von Uru also, einen Vater gehabt haben mußte, mit welchem also eigentlich seine persönliche Geschichte begonnen hätte, und so immer fort, bis etwa zu Jabel, dem Sohne Ada’s, dem Urahnen derer, die in Zelten wohnen und Viehzucht treiben. Aber der Auszug aus Sinear bedeutete ihm ja auch eben nur einen bedingten und besonderen Urbeginn, und er war wohlunterrichtet darüber, durch Lied und Lehre, wie es dahinter ins Allgemeine weiter und weiter ging, über viele Geschichten, bis zurück zu Adapa oder Adama, dem ersten Menschen, welcher nach einer babylonischen Vers- und Lügenkunde, die Joseph teilweise sogar auswendig wußte, der Sohn Ea’s, Gottes der Weisheit und der Wassertiefe, gewesen sein und den Göttern als Bäcker und Mundschenk gedient haben sollte, von dem aber Joseph Heiligeres und Genaueres wußte; zurück zu dem Garten im Osten, worin die beiden Bäume, das Lebensholz und der unkeusche Baum des Todes, gestanden hatten; zurück zum Anfang, zur Entstehung der Welt, der Himmel und des irdischen Alls aus Tohu und Bohu durch das Wort, das frei über der Urflut schwebte und Gott war. Aber war nicht auch dies nur ein bedingter, besonderer Anfang der Dinge? Wesen hatten damals dem Schöpfer bewundernd und auch verwundert zugeschaut: Söhne Gottes, Gestirnengel, von denen Joseph manche merkwürdige und selbst lustige Geschichte kannte, und widrige Dämonen. Sie mußten aus einem vergangenen Welt-Äon stammen, das einst zu Tohu- und Bohu-Rohstoff geworden war bei seinem Altersuntergange – und war nun dieses das Allererste gewesen?
Hier schwindelte es den jungen Joseph, genau wie uns, indem wir uns über den Brunnenrand neigen, und trotz kleiner uns unzukömmlicher Ungenauigkeiten, die sein hübscher und schöner Kopf sich erlaubte, fühlen wir uns ihm nahe und zeitgenössisch in Hinsicht auf die Unterweltschlünde von Vergangenheit, in die auch er, der Ferne, schon blickte. Ein Mensch wie wir war er, so kommt uns vor, und trotz seiner Frühe von den Anfangsgründen des Menschlichen (um vom Anfange der Dinge überhaupt nun wieder ganz zu schweigen) mathematisch genommen ebensoweit entfernt wie wir, da diese tatsächlich im Abgründig-Dunklen des Brunnenschlundes liegen und wir bei unserem Forschen uns entweder an bedingte Scheinanfänge zu halten haben, die wir mit dem wirklichen Anfange auf dieselbe Art verwechseln, wie Joseph den Wanderer aus Ur einerseits mit dessen Vater und andererseits mit seinem eigenen Urgroßvater verwechselte, oder von einer Küstenkulisse zur anderen rückwärts und aber rückwärts ins Unermeßliche gelockt werden.
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Wir erwähnten zum Beispiel, daß Joseph schöne babylonische Verse auswendig wußte, die aus einem großen und schriftlich vorliegenden Zusammenhange voll lügenhafter Weisheit stammten. Er hatte sie von Reisenden gelernt, die Hebron berührten und mit denen er in seiner umgänglichen Art Zwiesprache hielt, und von seinem Hauslehrer, dem alten Eliezer, einem Freigelassenen seines Vaters, – nicht zu verwechseln (wie es dem Joseph zuweilen geschah und wie es auch der Alte selbst sich wohl gern einmal geschehen ließ) mit Eliezer, des Ur-Wanderers ältestem Knechte, der einst die Tochter Bethuels am Brunnen für Isaak gefreit hatte. Nun denn, wir kennen diese Verse und Mären; wir besitzen Tafeltexte davon, die im Palaste Assurbanipals, Königes der Gesamtheit, Sohnes des Assarhaddon, Sohnes des Sinacherib, zu Niniveh gefunden worden und von denen einige die Ur-Kunde der großen Flut, mit welcher der Herr die erste Menschheit um ihrer Verderbtheit willen vertilgt und die auch in Josephs persönlicher Überlieferung eine so
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