Joseph und seine Brüder: Vier Romane in einem Band (Fischer Klassik Plus) (German Edition)
bedeutende Rolle spielte, in zierlicher Keilschrift auf graugelbem Tone darbieten. Offen gestanden ist aber das Wort »Urkunde«, wenigstens seinem ersten und eindrucksvollsten Bestandteile nach, nicht ganz genau am Platze; denn jene schadhaften Täfelchen stellen Abschriften dar, die Assurbanipal, ein der Schrift und dem befestigten Gedanken sehr holder Herr, ein »Erzgescheiter«, wie die babylonische Redensart lautete, und eifriger Sammler von Gütern der Gescheitheit, nur einige sechshundert Jahre vor unserer Zeitrechnung von gelehrten Sklaven herstellen ließ, und zwar nach einem Original, das reichlich eintausend Jahre älter war, also aus den Tagen des Gesetzgebers und des Mondwanderers stammte, für Assurbanipals Tafelschreiber ungefähr so leicht oder schwer zu lesen und zu verstehen wie für uns Heutige ein Manuskript aus Caroli Magni Zeiten. In einem ganz überholten und unentwickelten Duktus ausgefertigt, ein hieratisches Schriftstück, muß es schon damals schwer zu entziffern gewesen sein, und ob seine Bedeutungen bei der Abschrift so ganz zu ihrem Rechte gekommen sind, bleibt zweifelhaft.
Nun war aber dies Original nicht eigentlich ein Original, nicht das Original, wenn man es recht betrachtete. Es war selbst schon die Abschrift eines Dokumentes aus Gott weiß welcher Vorzeit, bei dem man denn also, ohne recht zu wissen, wo, als bei dem wahren Originale haltmachen könnte, wenn es nicht seinerseits bereits mit Glossen und Zusätzen von Schreiberhand versehen gewesen wäre, die dem besseren Verständnis eines wiederum urweit zurückliegenden Textes dienen sollten, wahrscheinlich aber im Gegenteil der modernen Verballhornung seiner Weisheit dienten – und so könnten wir fortfahren, wenn wir nicht hoffen dürften, daß unsere Zuhörer schon hier erfassen, was wir im Sinne haben, wenn wir von Küstenkulissen und Brunnenschlund reden.
Die Leute Ägyptenlandes hatten dafür ein Wort, das Joseph kannte und gelegentlich verwendete. Denn obgleich auf Jaakobs Hof keine Chamiten geduldet wurden, ihres Ahnen wegen, des Vaterschänders, der über und über schwarz geworden war, und weiterhin weil Jaakob die Sitten von Mizraim religiös mißbilligte, so verkehrte der Jüngling nach seiner neugierigen Art in den Städten, in Kirjath Arba sowohl wie in Sichem, doch öfters mit Ägyptern und fing auch dies und jenes von ihrer Sprache auf, in der er sich später so glänzend vervollkommnen sollte. Von einem Dinge also, das unbestimmten und sehr hohen, kurz: unvordenklichen Alters war, sagten sie: »Es stammt aus den Tagen des Set« – womit nämlich einer ihrer Götter gemeint war, der tückische Bruder ihres Mardug oder Tammuz, den sie Usiri, den Dulder, nannten: mit diesem Beinamen, weil Set ihn erstens in eine Sarglade gelockt und in den Fluß geworfen, dann ihn aber auch noch wie ein wildes Tier in Stücke gerissen und völlig gemordet hatte, so daß Usir, das Opfer, nun als Herr der Toten und König der Ewigkeit in der Unterwelt waltete ... »Aus den Tagen des Set« – die Leute von Mizraim hatten allerlei Verwendung für ihre Redensart, denn all ihrer Dinge Ursprung verlor sich auf unnachweisliche Art in jenem Dunkel.
Am Rande der Libyschen Wüste, nahe bei Memphis, lagerte, aus dem Felsen gehauen, der dreiundfünfzig Meter hohe Koloß-Zwitter aus Löwe und Jungfrau, mit Weibesbrüsten, Manneskinnbart und der sich bäumenden Königsschlange am Kopftuch, vor sich hingestreckt die riesigen Pranken seines Katzenleibes, die Nase kurz abgestumpft vom Zeitenfraße. Er hatte dort immer gelagert und immer schon mit von der Zeit gestumpfter Nase, und daß diese Nase jemals noch ungestumpft oder etwa gar der Sphinx selbst noch nicht vorhanden gewesen wäre, war unerinnerlich. Thutmose der Vierte, der Goldsperber und starke Stier, König von Ober- und Unterägypten, geliebt von der Göttin der Wahrheit, aus demselben achtzehnten Hause, dem auch jener Amun-ist-zufrieden entstammte, ließ ihn auf Grund einer Weisung, die er vor seiner Thronbesteigung im Traum empfangen, aus dem Wüstensande graben, von welchem die übergroße Skulptur schon weitgehend verweht und verschüttet gewesen war. Aber König Chufu bereits, anderthalb tausend Jahre vorher, aus dem vierten Hause, welcher nahebei sich die große Pyramide zum Grabmal erbaute und dem Sphinx Opfer darbrachte, hatte ihn als halbe Ruine vorgefunden, und von einer Zeit, die ihn nicht vorgefunden oder auch nur mit ganzer Nase vorgefunden hätte, wußte niemand.
Hatte
Weitere Kostenlose Bücher