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Joseph und seine Brüder: Vier Romane in einem Band (Fischer Klassik Plus) (German Edition)

Joseph und seine Brüder: Vier Romane in einem Band (Fischer Klassik Plus) (German Edition)

Titel: Joseph und seine Brüder: Vier Romane in einem Band (Fischer Klassik Plus) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Mann
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Gegenwart gewonnen gleichwie im Fest und war wiedergekehrt, wie Feste wiederkehren. Denn Esau, Josephs Oheim, war nicht der Stammvater Edoms.
    Darum, als die Stunde kam und die Brüder fast dreißig waren; als Jizchak aus der Dunkelheit seines Zeltes den dienenden Sklaven sandte, einen Jüngling, dem ein Ohr fehlte, da man es ihm mehrerer Leichtsinnsverfehlungen wegen abgeschnitten hatte, wodurch er sehr gebessert worden war; als dieser die Arme auf seiner schwärzlichen Brust vor Esau kreuzte, der mit Knechten auf dem bebauten Felde werkte, und zu ihm sprach: »Nach meinem Herrn verlangt der Herr«, so stand Esau wie angewurzelt, und sein rotes Gesicht färbte sich fahl unter dem Schweiß, der es bedeckte. Er murmelte die Formel des Gehorsams: »Hier bin ich.« In seiner Seele aber dachte er: »Jetzt geht es an!« Und diese Seele war voll von Stolz, Grauen und feierlichem Herzeleid.
    Da ging er hinein von sonniger Feldarbeit zum Vater, der mit zwei getränkten Läppchen auf den Augen im Dämmer lag, neigte sich und sprach:
    »Mein Herr hat gerufen.«
    Isaak antwortete etwas wehleidigen Tones:
    »Das ist meines Sohnes Esau Stimme. Bist du es, Esau? Ja, ich habe dich gerufen, denn die Stunde ist da. Tritt nahe heran, mein Ältester, daß ich mich deiner versichere!«
    Und Esau kniete hin in seinem Schurz aus Ziegenleder an dem Lager und heftete seine Augen auf die Läppchen, als wollte er sie durchbohren und in die Augen des Vaters dringen, während Isaak ihm Schulter und Arme und Brust betastete und dabei sprach:
    »Ja, das sind deine Zotteln und ist Esau’s rotes Vlies. Ich sehe es mit den Händen, die es wohl oder übel recht fein schon erlernt haben, zu verrichten das Amt der abnehmenden Augen. Höre nun also, mein Sohn, und mache deine Ohren weit und gastlich für das Wort des blinden Vaters, denn die Stunde ist da. Siehe, schon bin ich bedeckt mit Jahren und Tagen, daß ich wohl nächstens darunter verschwinde, und da längst meine Augen schon abnehmen, kann es als wahrscheinlich gelten, daß ich bald gänzlich abnehmen werde und hinschwinden ins Dunkel, so daß mein Leben Nacht ist und nicht mehr zu sehen. Darum, damit ich nicht sterbe, ehe ich den Segen vergeben und die Kraft von mir gelassen und übertragen das Erbe, so sei es nun, wie es öfters gewesen. Gehe hin, mein Sohn, und nimm dein Schießgerät, das du handhabst rüstig und grausam vor dem Herrn, und streife in Steppe und Flur, ein Wild zu erlegen. Das richte mir zu und mache mir ein Fleischgericht, wie ich es gerne habe, in saurer Milch gekocht am lebendigen Feuer und fein gewürzt, und bring’s mir herein, damit ich esse und trinke und meines Leibes Seele sich stärke und ich dich segne mit sehenden Händen. Dies meine Weisung. Geh.«
    »Es ist schon geschehen«, murmelte Esau redensartlich, blieb aber auf den Knien und hatte nun tief den Kopf gesenkt, während über ihm die blinden Läppchen ins Leere starrten.
    »Bist du noch da?« erkundigte sich Isaak. »Einen Augenblick dachte ich, du wärst schon gegangen, was mich nicht gewundert hätte, da der Vater gewohnt ist, daß jedermann schleunig in Liebe und Furcht seinen Weisungen nachkommt.«
    »Es ist schon geschehen«, wiederholte Esau und ging. Aber als er das Fell schon gerafft hatte, das des Zeltes Ausgang bedeckte, ließ er’s wieder fallen und kehrte zurück, kniete noch einmal nieder am Lager und sprach mit brechender Stimme:
    »Mein Vater!«
    »Wie denn und was noch?« fragte Isaak, indem er seine Brauen über den Läppchen emporzog. »Es ist gut«, sagte er dann. »Geh, mein Sohn, denn die Stunde ist da, groß für dich und groß für uns alle. Geh, jage und koche, auf daß ich dich segne!«
    Da ging Esau hinaus erhobenen Hauptes und trat vor das Zelt in vollem Stolze der Stunde und verkündete allen, die in Hörweite waren, mit lauter Stimme seine augenblickliche Ehre. Denn die Geschichten sind nicht auf einmal da, sie geschehen Punkt für Punkt, sie haben ihre Entwicklungsabschnitte, und es wäre falsch, sie überall kläglich zu nennen, weil ihr Ende kläglich ist. Geschichten kläglichen Ausgangs haben auch ihre Ehrenstunden und -stadien, und es ist recht, daß diese nicht vom Ende gesehen werden, sondern in ihrem eigenen Licht; denn ihre Gegenwart steht an Kraft nicht im mindesten nach der Gegenwart des Endes. Darum war Esau stolz zu seiner Stunde und rief schallend hinaus:
    »Hört es, Leute des Hofs, hört es, Abrams Kinder und Räucherer Ja’s, hört auch ihr es,

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