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Joseph und seine Brüder: Vier Romane in einem Band (Fischer Klassik Plus) (German Edition)

Joseph und seine Brüder: Vier Romane in einem Band (Fischer Klassik Plus) (German Edition)

Titel: Joseph und seine Brüder: Vier Romane in einem Band (Fischer Klassik Plus) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Mann
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zuweilen nur bebte seine Brust von Lebensbedrängnis, und er schnob einwärts. Aber Esau flennte und heulte bei aller Hantierung, und doch hatte er dem Alten, den sie da einnähten, wenig zu danken, nichts als den Wüstenfluch, der nach Vergebung des Segens einzig für ihn übriggeblieben war – zum schwersten Kummer des Vaters, wie Esau sich überzeugt hielt, wie sich überzeugt zu halten ihm Lebensbedürfnis war, weshalb er es denn auch immer wieder wenigstens aus seinem eigenen Munde zu hören begehrte und zehnmal beim Hantieren, schnaubend und sich die Nase wischend, in sein Heulen sprach: »Dich, Jekew, hatte das Weib lieb, aber mich hatte der Vater lieb und aß gern von meinem Weidwerk, so war es. ›Rauhrock‹, sprach er, ›mein Erster, es schmeckt mir, was du erlegt und für mich gebraten hast im geblasenen Feuer. Ja mir mundet’s, Rotpelzchen, habe Dank für deine Rüstigkeit! Bleibst mein Erster doch alle Tage hin, und ich will dir’s gedenken.‹ So und nicht anders sprach er wohl an die hundert- und tausendmal. Aber dich hatte das Weib lieb und sprach zu dir: ›Jekewlein, mein Erlesener!‹ Und in Mutters Liebe, das wissen die Götter, ist man weicher gebettet als in Vaters Liebe, ich hab’s erfahren.«
    Jaakob schwieg. Darum stieß Esau weiter in sein Schluchzen, was zu hören seiner Seele notwendig war: »Und ach, und ach, wie sich der Alte entsetzte, als ich kam nach dir und ihm brachte, was ich zugerichtet, damit er sich stärke zum Segen, und er begriff, daß nicht Esau gewesen, der vorher kam! Über die Maßen entsetzte er sich und rief öfters: ›Wer war denn der Jäger, wer war es denn? Jetzt wird er gesegnet bleiben, denn ich hatte mich sehr gestärkt zum Segen! Esau, mein Esau, was fangen wir nun an?‹«
    Jaakob schwieg.
    »Schweige nicht, Glatter!« rief Esau. »Schweige nicht dein eigennütziges Schweigen und gib’s auch noch schweigend für milde Schonung aus, das macht mir Galle und Wut! War es etwa nicht so, daß der Alte mich liebhatte und sich über die Maßen entsetzte?«
    »Du sagst es«, antwortete Jaakob, und Esau mußte sich zufriedengeben. Aber dadurch, daß er es sagte, wurde es nicht wahrer, als es in Wirklichkeit gewesen war; es wurde nicht weniger verwickelt dadurch, sondern blieb halbwahr und zweideutig, und daß Jaakob teils schwieg, teils einsilbig antwortete, war nicht Bosheit und Hinterhalt, sondern Entsagung vor der verwickelten Schwierigkeit der Sachlage, welcher mit heulenden Stoßworten und Naturburschen-Empfindsamkeit nicht beizukommen war, – der beschönigenden und selbstbetrügerischen Empfindsamkeit des Hinterbliebenen, der aus dem Verhältnis eines Entschlafenen zu ihm nachträglich das Beste zu machen wünscht. Es mochte schon richtig sein, daß Isaak sich damals entsetzt hatte, als Esau kam, nachdem er schon dagewesen. Denn der Alte mochte befürchtet haben, daß irgendein Fremder im Dunkeln bei ihm gewesen sei, ein ganz unzugehöriger Betrüger, und sich den Segen erschlichen habe, was man freilich als großes Unglück hätte ansehen müssen. Ob er aber auch so entsetzt, und zwar aufrichtig entsetzt gewesen wäre, wenn er sicher gewußt hätte, daß Jaakob Esau’s Vorgänger und er des Segens Empfänger gewesen sei, das war eine besondere Frage, nicht so einfach zu beantworten, wie es Esau’s Herzensbedürfnis entsprach, und ziemlich genau unter demselben Gesichtswinkel zu beurteilen wie jene andere Frage: ob die Liebe der Eltern sich wirklich so schlicht verteilt hatte, wie Esau es seinem Bedürfnis gemäß wahrhaben wollte – mit »Jekewlein« hier und »Rotpelzchen« da –, Jaakob hatte Gründe, es zu bezweifeln, wenn es auch ihm nicht zukam, sie gegen den Weinenden geltend zu machen.
    Oft, wenn der Jüngere sich an die Mutter schmiegte, hatte sie ihm erzählt, welch schweres Tragen es gewesen sei die letzten Monde hindurch, bevor die Brüder gekommen seien, und wie mißgestalt, auf überlasteten Füßen, sie sich kurzatmig hingeschleppt, gestoßen immerfort von den Zweien, die nicht Frieden gehalten in der Höhle, sondern um den Vortritt gehadert hätten. Ihm, Jaakob, behauptete sie, sei eigentlich von Isaaks Gott die Erstgeburt zugedacht gewesen, aber da Esau sie gar so heftig für sich in Anspruch genommen habe, sei Jaakob aus Freundlichkeit und Höflichkeit zurückgetreten, – übrigens auch wohl in dem stillen Bewußtsein, daß unter Zwillingen an dem geringfügigen Altersunterschiede selbst nicht viel gelegen sei, daß dieser die

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