Josephus- Trilogie. Der jüdische Krieg / Die Söhne / Der Tag wird kommen.
mit dem Gouverneur Lusius Quietus.
Bis zum Vorabend des Passahfestes hatte sich Josef Ferien genommen von seinem Gute Be’er Simlai, von Frau und Sohn, bis dahin durfte er streifen im Land, ein freier Mann, wohin immer der Wind und sein Herz ihn trieben.
Auf den Bergen war noch Winter, aber in den Tälern war schon der Frühling. Rastlos reiste Josef umher, bald auf einem Maulesel, bald zu Pferde, zuweilen auch zu Fuß. Der alte Mann erinnerte sich der Zeit, da er zum erstenmal durch Galiläa gezogen war, seine Bewohner zu erforschen. Auch jetzt fühlte er sich am wohlsten, solange er ein Unbekannter war, und wenn man ihn beim Namen nannte, blieb er nicht lange.
Immerhin suchte er auch Freunde auf und Männer, deren Art und deren Meinungen ihn beschäftigten. So kam er auch nach B’ne Berak zu Doktor Akawja.
Josef hat Akawja ziemlich oft gesehen, und so entgegengesetzt dessen Wesen und Lehre seiner eigenen ist, die beiden Männer sind nicht ungern zusammen. Fraglos ist neben Gamaliel Akawja unter den Doktoren der bedeutendste. Dabei ist er, wie Gamaliel selber, erst Anfang der Fünfzig. Doch während dem Gamaliel alles von Geburt an zugefallen ist, kommt Akawja von ganz unten, er war Viehhirt, er hat sich sein Studium und seinen Platz im Kollegium von Jabne unter schweren Mühen erkämpfen und seine Lehre gegen hundert Widerstände durchsetzen müssen. Es ist eine Doktrin, die mit verbissener Wildheit und dabei mit verschlagener, vertrackter Methodik alles Jüdische absperrt gegen alles Nichtjüdische, es ist eine enge, fanatische Doktrin, die allem widerspricht, was Josef in seinen großen Zeiten gelebt und in seinen großen Büchern verkündet hat. Trotzdem kann sich Josef selber der Faszination nicht entziehen, die von diesem Doktor Akawja ausgeht.
Er blieb einen Tag in B’ne Berak und noch einen und einen dritten. Dann, wenn er zum Passahfest auf seinem Gut zurück sein wollte, war es Zeit, aufzubrechen. Doch als er sich von Akawja verabschiedete, hielt ihn dieser zurück. »Wie wäre es, Doktor Josef«, fragte er, »wollen Sie nicht einmal mit mir den Passahabend verbringen?«
Überrascht sah Josef hoch, ob Akawja den Vorschlag ernst meine. Akawjas großer Kopf saß auf einem plumpen, gewaltigen Körper. Aus dem trübsilbernen Bart kamen frisch und rosig die Wangen hervor, das Haar war tief hereingewachsen in die breite, mächtige, gefurchte Stirn. Dicke Augenbrauen zottelten über den braunen Augen. Ein leidenschaftliches, strenges Feuer glühte aus diesen Augen und machte die platte Nase vergessen. Heute indes, jetzt, da Akawja dem Josef seinen Vorschlag machte, den Passahabend mit ihm zu verbringen, war ein kleines, verschmitztes Leuchten in diesen sonst so wilden und heftigen Augen.
Es ist in der Tat erstaunlich, daß der leidenschaftlich nationalistische Akawja ihn, den Josef, den Kompromißler, der zeitlebens Juden und Griechen und Christen hat versöhnen wollen, zum Passahabend an seinen Tisch lädt, zu diesem großen nationalen Erinnerungsfest. Es ist eine Herausforderung und eine Ehrung. Für den Bruchteil einer Sekunde ist Josef so verwundert, daß er nicht weiß, wie er sich verhalten soll. Die Sitte erfordert, daß Josef, der Hausherr, diesen Abend auf seinem Gute verbringt, inmitten seiner Familie und seiner Leute, daß er ihnen die Haggada vorliest, die Erzählung von der Befreiung der Juden aus Ägypten. Doch Josef sagt sich, daß Frau und Sohn ihn nicht sehr vermissen werden, eher wird es ihnen eine Genugtuung sein, daß Josef, der »Verräter«, gerade an diesem heiligen Abend bei Akawja zu Gast ist, dem allverehrten, den die jüdischen Patrioten als den besten ihrer Führer bewundern. Nach dem ersten Erstaunen spürt Josef eine tiefe Befriedigung. »Ich danke Ihnen, Doktor Akawja«, sagt er, »ich nehme die Ehre Ihrer Einladung an, ich bleibe.« Und die beiden Männer sehen sich an, sie lächeln sich in die Augen, mit einem erkennerischen, kämpferischen und freundschaftlichen Lächeln.
Am Abend der Erzählung also, am Abend der Haggada, hat Josef den Ehrenplatz inne, rechts vom Hausherrn, im Hause des Doktor Akawja in B’ne Berak. Das beglückende Erstaunen, das ihn ergriffen, als Akawja ihn eingeladen, ist noch immer nicht von ihm gewichen, es ist stärker geworden. Er fühlt sich gehoben, schwebend, dieser Abend scheint ihm ehrenvoller als die Stunde, da Kaiser Titus seine, des Josef, Büste aufstellen ließ in der Bibliothek des Friedenstempels in
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