Josepsson, Aevar Örn
abweisender als ihr Bruder, aber schließlich erklärte sie sich doch bereit, ihr Versprechen einzuhalten, genau wie ihr Bruder. Zum Schluss rief er bei Sigurlaug an, doch bei ihr meldete sich wie immer nur der Anrufbeantworter. Dagegen war nichts zu machen. Er leierte sein Sprüchlein auf den Anrufbeantworter und legte auf. Auch sie würde zum Licht gelangen. Früher oder später würde auch sie das Licht sehen, daran hatte er nicht den geringsten Zweifel. Dann setzte er sich wieder vor den Fernseher und wartete darauf, dass es halb vier wurde.
*
»… und denk daran, dass Gott dich liebt und dass du nur durch ihn errettet werden kannst. Ich vergebe dir, und das tut der Herr auch. Dein Ehemann in Christus, Ólafur.« Als Ólafur aufgelegt hatte, drückte Viðar auf die Löschtaste und wandte sich Sigurlaug zu, knallrot im Gesicht.
»Ist das nicht zum elften Mal in dieser Woche?«
Sie zuckte mit den Achseln. »Das zehnte, elfte oder das zwanzigste Mal, was für eine Rolle spielt das? Der Mann hat sie nicht mehr alle, und das weißt du. Für mich ist er wie ein kläffender und bissiger Köter.«
»Ich halte nichts von kläffenden und bissigen Kötern«, entgegnete Viðar. »Und früher bei uns auf dem Land wurde mit …«
»… bissigen Kötern nicht lange gefackelt, ich weiß«, unterbrach ihn Sigurlaug. »Das sagst du nicht zum ersten Mal.« Sie legte den Mascarastift ab und griff nach dem Lippenstift. »Wir haben getan, was wir konnten – und du hättest diese Nachricht nicht löschen sollen. Die haben uns doch darum gebeten, das aufzubewahren, es nicht zu vernichten. Sie schürzte die Lippen und beugte sich mit gezücktem Lippenstift zum Spiegel vor.
»Kein Problem, wenn das ein altmodischer Anrufbeantworter mit einer Kassette wäre«, sagte Viðar, der sich wieder etwas beruhigt hatte. »Ich finde das einfach ausgesprochen lästig, dass die Bullen jedes Mal hierherkommen, wenn dieser Idiot anruft.« Er befasste sich wieder mit seinem Krawattenknoten.
»Nun hab dich doch nicht so«, sagte Sigurlaug und verzog den Mund, bis sich der Lippenstift wunschgemäß verteilt hatte. »Es ist nicht schön, schlecht über Leute zu reden, die arm dran sind. Und ich war ja schließlich dreißig Jahre mit ihm verheiratet, wenn er ein Idiot ist, was bin ich dann?«
»Du? Du bist ein Wunder und ein Engel. Das bist du, denn du hast ihn all diese Jahre ertragen können.«
»Ertragen können habe ich ihn nur zehn Jahre. Ich brauchte bloß ziemlich lange, um mich dazu aufzuraffen, ihm den Laufpass zu geben, ein Wunder bin ich deshalb nicht. Er war ja auch nicht immer so, dieses fromme Gesülze hat er erst seit ein paar Jahren drauf. Nicht, dass das andere besser war, das will ich nicht behaupten. Aber ich verstehe nicht, warum du die Aufzeichnungen immer gleich löschst, dieses Gerät kann bis zu hundert Nachrichten aufnehmen. Wenn wir das Zeug einen Monat sammeln würden, könnten sie das dann auf einmal abhören. Vielleicht würden diese Typen da am Hlemmur dann endlich mal was unternehmen.«
»Pah«, gab Viðar von sich. »Die und was unternehmen.« Er schlang die Arme um seine Frau und sah sie im Spiegel an. »Die werden überhaupt nichts in dieser Sache unternehmen, diese Deppen, davon bin ich überzeugt«, sagte er und klang ärgerlicher als beabsichtigt. »Bislang haben sie jedenfalls gar nichts gemacht, und sie werden es auch in Zukunft nicht tun. Das ist genau wie bei vielen anderen Dingen: Wenn man möchte, dass etwas geschieht, nimmt man es am besten selber in Angriff.«
Sigurlaug zog die Brauen hoch. »Und was glaubst du, was du in Angriff nehmen kannst, mein Lieber?«
Er ließ sie los und ging in den Flur. »Ich weiß es nicht«, sagte er scharf, »aber irgendetwas muss unternommen werden, so viel steht fest. Irgendwie muss dieser alte Zausel zu Verstand gebracht werden. Kommst du jetzt endlich?« Ungeduldig und herrisch klimperte er mit dem Schlüsselbund. Sigurlaug wischte sich ein unsichtbares Stäubchen vom Rock, bevor sie ihm ohne Hast folgte.
»Ja, ja, ich komme. Reg dich ab.« Viðars Ausdrucksweise gefiel ihr nicht, weder das, was er gesagt hatte, noch wie er es gesagt hatte. Bislang war sie davon ausgegangen, dass sie von dem Tag an, an dem sie Ólafur vor die Tür gesetzt hatte, nie wieder solch unerträglichem Verhalten ausgesetzt sein würde. Sie war einigermaßen überrascht gewesen, wie wenig Widerstand Ólafur letztendlich geleistet hatte, wie schnell er den Kampf aufgab, als sie endlich aus
Weitere Kostenlose Bücher