Josepsson, Aevar Örn
Senders und Bruder von Meister Magnús, unterhielt sich mit einem jungen Mädchen, das vor kurzem durch die Gnade Gottes aus den Abgründen und Verstrickungen von Drogen und Depressionen erlöst worden war.
»Wunder jeden Tag«, murmelte Ólafur, »Wunderwerke an jedem gesegneten Tag des Herrn.« Nachdem er die Schnitte verzehrt hatte, griff er nach der Camel-Schachtel, musste aber feststellen, dass sie leer war. Zu seinem großen Bedauern war auch keine Schachtel mehr in der Stange, die er in der Küche aufbewahrte. Das brachte ihn darauf, seine Ginvorräte zu kontrollieren, und es stellte sich heraus, dass sie ziemlich dürftig waren. Er sah auf die Uhr – der Alkoholladen würde in einer Viertelstunde schließen. Ólafur war kein Freund von Eile, aber wenn es darauf ankam, konnte er ausgesprochen fix sein. Er schlüpfte in seine alten bequemen Mokassins, zog die verschlissene blaugraue Windjacke an, die in der Diele auf dem Boden lag, und griff nach den Autoschlüsseln.
»Verzeih mir, Ari«, murmelte er, als er den Fernsehdirektor und das Mädchen ausschaltete. Auf dem Weg nach unten pries er den Herrn für die Erfindung des Aufzugs.
*
Ragnar sah Bárður besorgt an. Es war immer dieselbe Geschichte, wenn sie nach Island kamen. Ólafur rief Bárður an, noch bevor sie aus dem Duty-free-Shop heraus waren, und ließ nicht locker, bis Bárður sich damit einverstanden erklärte, ihn zu besuchen. Und dann folgten einige Tage voller Ängste und Beklemmungen, bis es zum Wiedersehen zwischen Vater und Sohn kam. Stets endete es auf dieselbe Weise, mit Beschimpfungen, Türenknallen und Tränen. Jedes Mal bot Ragnar Bárður an, ihn bei diesen Besuchen zu begleiten, doch Bárður lehnte das Angebot stets mit der gleichen Begründung ab – der Alte würde sich noch schlimmer aufführen, wenn sie beide zusammen zu ihm gingen.
Seltsamerweise war der Alte aber immer sehr genau informiert, wann sie zu erwarten waren. Ragnar konnte sich das nur so erklären, dass Hólmfríður ihn angerufen und ihm davon erzählt haben musste. Sigurlaug tat das bestimmt nicht, so viel stand fest, und der Kerl würde wohl kaum auf ihre Blogseite gehen können, soweit sie wussten, hatte er überhaupt keinen Netzanschluss. Zudem hatten sie schon lange aufgehört, ihre Islandreise dort anzukündigen, in der schwachen Hoffnung, dass das etwas bewirken würde. Bárður ließ nicht zu, dass etwas Negatives über Hólmfríður gesagt wurde, und Ragnar wusste nur zu gut, wie seine Reaktion in einem solchen Fall ausfallen würde. Dennoch konnte er sich nicht zurückhalten, als er wieder einmal mit ansehen musste, wie sein Lebensgefährte sich mit einem Kissen im Arm vor und zurück wiegte und mit leeren Augen auf die gegenüberliegende Wand starrte.
»Weshalb macht Hólmfríður das eigentlich immer?«, fragte er wütend. »Weshalb sagt sie eurem Vater Bescheid, wann wir in Island zu erwarten sind?«
Wie gewöhnlich antwortete Bárður mit einer Gegenfrage: »Weshalb sollte sie das Papa erzählen?«
Und wie immer hatte Ragnar die Antwort parat: »Keine Ahnung. Aber wie erfährt er dann immer davon? Du sagst es ihm doch sicher nicht.«
»Nein«, antwortete Bárður, »natürlich nicht. Genauso wenig wie Hólmfríður.«
»Wer denn? Deine Mutter vielleicht?«, brummte Ragnar.
»Ganz bestimmt nicht.«
»Dann geh doch einfach diesmal nicht zu ihm hin. Du weißt ganz genau, dass es derselbe Quatsch wie immer sein wird. Du musst das ewig gleiche verdammte Geschwätz von diesem Blödmann über dich ergehen lassen.«
»Ich muss zu ihm. Wir kommen doch höchstens einmal im Jahr nach Island, da kann ich nicht nein sagen, wenn er mich unbedingt sehen will.«
»Warum nicht?« Ragnar wusste nicht, wieso er überhaupt fragte, die Antwort konnte er genau wie dieses ganze Gespräch auswendig.
»Weil er mein Vater ist«, antwortete Bárður. »Weil du mein Mann bist, und weil ich jedes Mal hoffe, dass sich etwas geändert hat.«
»Du weißt ganz genau, dass sich nichts geändert hat.«
»Nein, das weiß ich nicht. Und du genauso wenig. Lass mich in Ruhe.«
Und Ragnar kapitulierte. Wie immer.
*
Die vier Ginflaschen wanderten in den Schrank, und die zwei Stangen in das Regal darunter. Ólafur betrachtete seine kostbaren Vorräte eine Weile, und ein schwaches Lächeln umspielte seine Lippen, als er den Schrank zumachte und begann, den Rest seiner Einkäufe in den Kühlschrank und die anderen Schränke einzuräumen. Als er vor sechs Jahren in diese
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