Josepsson, Aevar Örn
Wohnung eingezogen war, hatte er sich nicht vorstellen können, dass das Leben so wunderbar werden könnte.
Er erinnerte sich noch an die Hoffnungslosigkeit und Trostlosigkeit, die ihm am Einzugstag über die Schwelle der Wohnung folgten und sich noch steigerten, als er die Stapel mit Kartons, die Schränke und den neuen, gebraucht gekauften Kühlschrank, der noch nicht angeschlossen war, betrachtete. Das einzige Bild, das er mitgenommen hatte, war ein kleines Landschaftsaquarell von Þingvellir. All das stand oder lag in einem wüsten Chaos mitten im Wohnzimmer, beleuchtet von einem russischen Kronleuchter. Da endlich hatte er wirklich begriffen, dass er nach dreißig Jahren Ehe wieder alleinstehend war.
Da endlich hatte er geweint.
Dieser Zustand hatte sich zunächst noch verschlimmert, denn Sigurlaug war nicht nur seine Ehefrau und Köchin, Waschfrau und sein Anker im Leben gewesen – sie hatte sich auch um die Finanzen gekümmert und versucht, seinen Alkoholkonsum in Schranken zu halten.
Ólafur hatte nie unmäßig getrunken, er hatte zwar hin und wieder mal genau wie andere über die Stränge geschlagen und sich auch zwischendurch immer mal wieder das ein oder andere Gläschen genehmigt, aber darüber hinaus hatte er kein besonderes Bedürfnis nach Alkohol verspürt. Das änderte sich, als er wieder allein war, und zwar überaus schnell.
Anfangs nur ein Glas nach dem Abendessen. Warum nicht? Da war niemand, der daran etwas auszusetzen hatte, und es gab nichts anderes, um sich zu trösten. Außerdem schadete es niemandem.
Dann wurden es zwei …
Sein Gesicht verzerrte sich zu einer Grimasse, als ihm die erste Abmahnung bei der Arbeit in den Sinn kam. Der Personalchef, der von Ólafurs privaten Problemen wusste, hatte ihn unvermittelt mitten in der Arbeit zu sich bestellt und ihm gesagt, dass er sich Sorgen wegen seiner Gesundheit machte; er empfahl ihm, ein oder zwei Wochen Urlaub zu machen, um nach dem, was vorgefallen war, die Batterien wieder aufzuladen. Da war Ólafur bereits zwei Wochen lang zu spät zur Arbeit erschienen, unausgeschlafen und verkatert. Er hatte aber rundheraus abgestritten, irgendwelche Probleme zu haben, abgesehen von leichter Schlaflosigkeit, und das würde sich schon wieder geben. Er habe keine Zeit für derartigen Blödsinn, hatte er noch hinzugefügt, bevor er beleidigt aus dem Zimmer stolziert war.
Nur einen Monat später wurde er zu einer weiteren Unterredung bestellt, und diesmal stieg ihm der Personalchef wirklich aufs Dach. Es ginge einfach nicht, hatte er erklärt, dass der Ressortleiter einer so wichtigen Abteilung wie der elektrotechnischen wegen Alkoholproblemen mehr oder weniger arbeitsunfähig sei. Er hatte ihn knallhart vor die Alternative gestellt, sich entweder einer Entziehungstherapie zu unterziehen oder nüchtern und pünktlich zur Arbeit zu erscheinen. Obwohl er es nicht direkt sagte, war dem Klang seiner Worte zu entnehmen, dass Entlassung die dritte Alternative war.
Ólafur hatte dem Personalchef versichert, dass alles wieder völlig in Ordnung kommen würde, dass er sein Trinken unter Kontrolle habe und unter gar keinen Umständen auf die dummen Tricks irgendwelcher Pseudoärzte angewiesen sei, um seinen Alkoholkonsum einzuschränken. Sie verabschiedeten sich höflich, aber kaum war die Tür hinter Ólafur zugefallen, verfluchte dieser die Verständnislosigkeit und Einmischung des verdammten Kerls und aller anderen nach Strich und Faden.
»Der Stolz«, seufzte Ólafur manchmal, wenn er sich an seine Reaktion erinnerte, und zitierte den Meister. »Dummheit und Stolz wachsen auf einem Holz.« Neun Monate nach der Scheidung war er arbeitslos, und wenig später bekam er solche Probleme mit seinem Rücken, dass er als fünfundsiebzigprozentiger Invalide eingestuft wurde, und damit war er zusätzlich zu allem anderen als verkrachte Existenz legalisiert.
Er konnte von Glück reden, dass die Linken, die damals in Reykjavík an der Macht waren, gerade die letzten Sozialwohnungen weit unter Marktwert verscherbelten, als Sigurlaug ihn rauswarf, und dass er genug Geld besaß, um sich diese Bude kaufen zu können, ohne sich nennenswert in Schulden zu stürzen. Sonst wäre er bestimmt auf der Straße gelandet, wenn nicht gar in der Gosse. Und es war nur seinem Nachbarn Úlfur zu verdanken, dass er nicht tatsächlich dort geendet war. Úlfur und den guten Leuten in der Therapieklinik Vogar. Und selbstverständlich Gott, das wusste er inzwischen. Denn Gott sorgte für
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