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Jud Sueß

Jud Sueß

Titel: Jud Sueß Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lion Feuchtwanger
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schätzte, zehn Jahre jünger fast, als er wirklich war. Er mußte Frauenblicke in seinem Rücken spüren, umgewandte Köpfe, wenn er auf der Promenade ritt. Die mattweiße Haut, die er von der Mutter geerbt, pflegte er mit hundert Essenzen, er ließ sich gerne bestätigen, daß seine Nase griechisch war, täglich mußte der Coiffeur ihm das reiche dunkelbraune Haar wellen, daß es ja nicht unter der Perücke leide; häufig auch trug er es ohne Perücke, trotzdem sich das eigentlich für einen Herrn seines Standes nicht schickte. Er achtete darauf, daß der kleine Mund mit den übervollen, sehr roten Lippen sich nicht durch viel Lachen verzerre, und ängstlich suchte er im Spiegel die freie Heiterkeitder glatten Stirn, die ihm das Zeichen des Kavaliers war. Er wußte, daß er auffiel, er brauchte Bestätigungen, immer neue, seiner Wirkung, und eine Frau, die er nach einer Nacht verabschiedet hatte, blieb ihm fürs Leben lieb, weil sie seine dunkelbraunen, blitzenden, raschen Augen unter den gewölbten Brauen fliegende Augen genannt hatte.
    Wie die Mode und sein Behagen immer neue Speisen, Weine, immer anderes Kristall und Porzellan für seine Tafel forderte, so für sein Bett immer neue Frauen. Er brauchte sie und verbrauchte sie. Sein Gedächtnis, ein ungeheures Museum, das alles in zuverlässiger Konservierung hegte, hielt Gesichter, Leiber, Duft, Stellung in sicherer Treue fest; weiter rührte keine. Eine einzige hatte sich tiefer als nur in die Sinne in ihn hineingesenkt, das Jahr, das sie mit ihm zusammen war, das Jahr in Holland, stand fremdartig und sehr allein in seinem Leben, aber er hatte das Erinnern daran verkapselt, er sprach nicht davon, seine Gedanken gingen scheu an diesem Jahr und dieser Verklungenen vorbei, nur sehr selten schlug es große Augen auf und sah ihn bestürzend und verwirrend an.
    Er hatte sich von Isaak Landauer auch deshalb so leicht bestimmen lassen, nach Wildbad zu gehen, weil die Kur in diesem Ort seit ein paar Jahren von jedem gebraucht werden mußte, der im westlichen Deutschland als Kavalier gelten wollte. Selbst von Frankreich kamen Gäste herüber, hier sah man das modischste Fuhrwerk, man hörte die eleganteste Konversation, man konnte an der Tenue von Versailles die Eckchen und Rauheiten abschleifen, die auch der modischste deutsche Hof nicht ganz zu vermeiden wußte. Hier war große Welt, man sah hier am deutlichsten die leisen Schwankungen in der Wertung der einzelnen und ganzer Schichten, wer hochkam und wer niederglitt, das lebendige Beispiel war hundertmal instruktiver als der »Mercure galant«. Nur hier in Deutschland konnte man mit Sicherheit feststellen, welches Fußgelenk der à-la-mode-Kavalier bei der Auswahl seiner Herzdame zu bevorzugen hatte, wollte er nicht als rückständig angesehen werden.
    Da Süß in keiner größeren Aktion stand, ging er ganz in diesem Gewese auf, trieb sich mit flinken Stößen in den galanten Nichtigkeiten herum. Nicht ausgefüllt und hungrig nach Geschehnissen, sog er aus dem Leben der andern. Er konversierte mit dem Wirt und machte Projekte, wie der Gasthof, in dem er wohnte, rentabler werden könnte, er schlief mit der jungen Aufwärterin, er bestellte für den Besitzer des Spielhauses neue, elegantere Pharaotische, wobei er vierhundert Gulden verdiente, er war der am liebsten gesehene Gast beim Lever der Prinzessin von Kurland, er renkte die Liebeshändel des Badedieners ein, er beschaffte durch die Gewandtheit seines Nicklas Pfäffle aus den Ludwigsburger Treibhäusern Orangeblüten für die Tochter des Gesandten der Generalstaaten, er durfte, wenn sie im Bad saß und mit den Kavalieren konversierte, auf der Holzdecke, die, nur ihren Kopf freilassend, auf der Wanne lag, ihr zunächst sitzen, und viele sagten, er dürfe sich noch ganz andere Freiheiten nehmen. Er machte einen vorteilhaften Kontrakt mit einem Amsterdamer Juwelenhändler über die Schleifung gewisser Steine, bei einem Streithandel mit einem Grafen Tratzberg, einem plump frechen bayrischen Herrn, schnitt er so gut ab, daß der Bayer anderntags sich aus Wildbad trollen mußte, er erwirkte dem Gärtner Kredit für neue Parkanlagen beim Badehaus und gewann dabei hundertundzehn Taler. Er hielt am Spieltisch, als alle deutschen Herren sich ängstlich zurückzogen, dem jungen Lord Suffolk als einziger Widerpart und verlor lächelnd und höflich viertausend Gulden. Er ohrfeigte einen Modehändler, der ihn beim Kauf eines Strumpfgürtels um vier Groschen betrügen wollte. Er

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