Jud Sueß
Kompensation mannigfache Vorteile gegen die Eßlinger preisgeben. Somit war seine Taktik klar. Er kannte den Juden Jecheskel Seligmann nicht. Wenn die Eßlinger, bloß um ihn zu ärgern, ihre Justiz durch einen offenbaren Fehlspruch kompromittieren wollten, mochten sie es. Ihre Sache. Er wird sich nicht einmengen. Streng neutral bleiben. Eisern schweigen.
Demgemäß handelte er. Beschränkte sich auf wirksame Schutzmaßnahmen für die von ihm im Herzogtum zugelassenen Juden und ihre etwas zweifelhaften Rechte. Ließ sich im übrigen durch keine Stichelei und keinen Hohn aus seiner Passivität herauslocken.
Auch für die Reden Isaak Landauers, so sehr sie ihn ägrierten, hatte er keine Antwort. Doch der andere beharrte eigensinnig: »Ich hab aufgekauft mit ein paar anderen alle Schuldforderungen an die Stadt Eßlingen. Besteht sie auf dem Prozeß, komme ich acht Tage vorher mit meinen Obligationen. Läßt sie nach, laß ich nach. Drückt sie zu, drück ich zu. Aber man kann nicht wissen«, schloß er bekümmert und rieb sichdie fröstelnden Hände. »Diese Gojim sind geschlagen mit aller Bosheit und Dummheit. Wenn es gegen einen Juden geht, wollen sie Blut lieber als Geld. Und Ihr, Reb Josef Süß?« fragte er endlich geradezu, da sonst kein Wort aus ihm herauszupressen war.
Süß, lang vorbereitet, erwiderte ablehnend: »Ich kenne den Juden Seligmann nicht. In meinem Bezirk werde ich mich zu schützen wissen.«
Aber Isaak Landauer erregte sich: »Kennt nicht! Werdet Euch zu schützen wissen! Was heißt das! Sitzt da mit seinen Lakaien, seinem goldenen Rock, seinen Chinesern und kennt nicht! Wird sich zu schützen wissen! Laßt Euch sagen von einem alten Geschäftsmann: Wozu ist gut das ganze Gelump, wer glaubt Euch das ganze Gelump, wer läßt sich dumm machen davon, wenn Ihr nicht könnt schützen den Reb Jecheskel Seligmann Freudenthal?« Und er schwenkte aufgebracht die Hände vor dem Gesicht des anderen, sein Kaftan flatterte zornig. »Papagei, Gobelins, Steinköpfe! Wozu sind gut Steinköpfe?« höhnte er giftig. »Moses der Prophet und Salomo der König haben ihrer Lebtage nicht ausgeschaut wie Eure weißen Steinköpfe! Und die Augen haben sie auch nicht immer zu gehabt. Sonst hätten sie es nie so weit gebracht.« Und er starrte, empört durch das gelassene Schweigen des anderen, hitzig vor sich hin.
»Ein guter Jud wird sich hüten, mit Euch in Zukunft zu machen Geschäfte«, spielte er plötzlich starr, lauernd, bösartig seinen letzten Trumpf aus. Aber Süß achselzuckte nur: »Ich lasse mir nichts abpressen«, und wandte ein feindseliges, hochfahrendes Gesicht weg. Es blieb Isaak Landauer nichts übrig, als vor sich hin kläffend, heftig den schütteren Bart strähnend, zu gehen.
Einige Wochen später, der Eßlinger Prozeß mußte nun bald stattfinden, standen im Vorzimmer des Süß zehn jüdische Männer, an der Spitze Jaakob Josua Falk, der kleine, welke Rabbiner von Frankfurt mit den eingesunkenen Augen, mit ihm der Pfleger und die drei angesehensten Vorständeseiner Gemeinde, und eine Deputation der Fürther Juden, gleichermaßen zusammengesetzt. Sie waren in Freudenthal zusammengetroffen, wo seit den Zeiten der Grävenitz eine kleine jüdische Gemeinde saß, sie hatten die Frau des Jecheskel Seligmann aufgesucht; doch die war stumpf und keiner Tröstung erreichbar. Sie waren dann, vom Volk bösartig angeknurrt, nach Stuttgart gefahren, bei dem widerwilligen Judenwirt abgestiegen. Sie hatten in großer und umständlicher Ordnung gebetet, früh, nachmittags und am Abend, denn zehn Männer bildeten eine Gemeinde, in der alle Feinheiten und Umwege der Gebetsordnung abgewandelt werden konnten. Sie waren feierlich vor der Rolle der Heiligen Schrift gestanden, die sie mit sich schleppten, sie hatten sie geküßt, erregt und gesammelt, eingehüllt in ihre Gebetmäntel, die Riemen an Herz und Hirn, das Gesicht gerichtet gegen Osten, gegen Zion. So hatten sie mit Händen, Lippen und allen Gebeinen in großer, flackernder Not und Andacht gebetet. Und nun standen sie matt und erregt, in Schläfenlocken und schwerem Kaftan, den spitzen Judenhut auf dem Kopf, den Fleck am Ärmel, im Vorzimmer des Süß zwischen Büsten, Stuck, Gobelins, Gold und Lapislazuli. Sie schwitzten und sprachen nur selten ein flüsterndes, heiser gurgelndes Wort. Eine Spieluhr schlug die volle Stunde und spielte eine dünne, silbern rieselnde Melodie, und sie warteten, bis der Geheime Finanzienrat sie vorlassen würde.
Es fasteten
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