Jud Sueß
Verdienste nicht sehen, nur weil er ihnen in dem einen Fall nicht zu Willen sein konnte. Die Undankbaren! Sie verstanden nicht und würden nie verstehen, welches Opfer er eigentlich mit seiner Zugehörigkeit zu ihnen brachte. Man sollte wirklich, weiß Gott, weiß Gott, schon um es ihnen zu zeigen, sollte man sich taufen lassen.
Immerhin, es wäre ein angenehmes Gefühl gewesen, ihnen seine Allmacht auch diesmal zu präsentieren. Es traf sich zu dumm, daß er den Eßlingern ihren Juden nicht ohne weiteres entreißen konnte. Sicherlich wird er in Zukunft der ganzen Judenheit viel weniger imponieren. Dies nagte an ihm.
Er beschloß mit aller Energie, nicht mehr daran zu denken. Stürzte sich in Arbeit. Entfesselte einen neuen Wirbel von Frauen um sich her. Aber seine Nächte waren schlecht. Er träumte, vor ihm gehe ganz langsam und feierlich der Hinrichtungszug mit dem Juden Jecheskel Seligmann Freudenthal. Er, Süß, brauste auf seiner Schimmelstute Assjadah hinterdrein, wollte den Zug zum Stehen bringen. Aber so langsam der Zug unmittelbar vor ihm dahinschlich und so sehr er seine rasche Stute spornte, er konnte und konnte ihn nicht einholen. Er schrie, winkte heftig mit den Einspruchsakten. Aber es war großer Wind, und die vor ihm gingen und gingen. Plötzlich war Dom Bartelemi Pancorbo da. Mit seinem entfleischten Gesicht, die eine Schulter hoch, in seiner großen, verschollenen Halskrause stand er vor ihm, sagte, wenn er den Solitär an seinem Finger gebe, werde er den Zug zum Halten bringen. Süß war, schwitzend und bekümmert, einverstanden. Aber wie er den Ring vom Finger ziehen wollte, saß der wie eingewachsen, und Dom Bartelemi sagte, ja, da müsse er eben die Hand abhacken.
Darüber erwachte Süß, unerquickt und mit Kopfschmerzen.Wenn er noch so müde war, hatte er jetzt Angst vor dem Schlaf. Denn der Reb Jecheskel Seligmann Freudenthal, der seine von Arbeit und Frauen berstenden Tage nicht behelligte, schlich sich in seine kurzen, unerfreulichen Nächte.
Vor dem erschreckten, in sich zurückgescheuchten Süß hockte mürrisch Rabbi Gabriel. Saß da, dicklich, vergrämt, die drei scharfen, senkrechten Falten in der Stirn. Erzählte mit kargen, altfränkischen, vieldeutigen, bedrohlichen Worten.
Es waren also Gerüchte zu dem Kind geflogen, böse, ätzende Gerüchte über Süß. Das Kind hatte nicht gesprochen, aber das Kind war aus seiner Ruhe, getrübt. Süß, erschreckt, ängstlich: Was er denn tun könne? Und Rabbi Gabriel mürrisch, grimmig: Hier nützten Worte nichts, Ausflüchte nichts. Stellen müsse er sich dem Kind. In seinem Gesicht lesen lassen müsse er das Kind. Vielleicht, setzte er höhnisch hinzu, entdeckte das Kind mehr als er, der Rabbi. Vielleicht finde es mehr in dem Antlitz des Süß als Fleisch und Haut und Knochen.
Den Süß, wie er allein war, hob es hoch, tauchte es hinunter. Warf es, den Umgewühlten, hin und her. Dabei war er, im Grund, von Anfang an entschlossen. Dabei kam ihm, im Grund, diese gefährliche und höhnische Forderung des Rabbi als Zeichen und großes Licht und sehr erwünscht.
Dem Kind sich stellen, dem Kind ein Gesicht zeigen, rein und leuchtend von innen her. Er war abgebrüht und hielt sich gemeinhin an das, was man sehen und tasten konnte, aber daß solche Nötigung just in diesem Augenblick kam, das mußte auch dem Zweifelsüchtigsten Wink und Zeichen sein. Er war kein Hundsfott, sicher nicht, er konnte sich sehen lassen, jederzeit und vor jedermann, und wenn es wirklich einen Gott geben sollte, der prüfte und Buch führte und Wechsel zog: er konnte beruhigt sein und brauchte vor Saldo und Tratten keine Angst zu haben. Immerhin, wenn er sich jetzt dem Kind stellen soll, so ein Kind hat sonderbare Augen, es sieht immer bloß Blumen und lichten Himmel, es hat keineAhnung von menschlichen Komplikationen, und es sieht vielleicht Makel und Schmutz, wo unsereinem Herz und Hände leidlich sauber scheinen. Und wenn bereits Gerüchte zu ihr geflogen sind, wenn sie von vornherein voll Angst und Zittern ist, dann ist es sicher geraten, sich nochmals gründlich zu säubern, eh daß man vor sie hintritt.
Er geht, den Kopf gesenkt, die schlemmerischen Lippen aneinanderreibend, die Arme sehr straff, auf und ab. Er ist, Teufel noch eins!, nicht der Mann, Opfer zu bringen. Er schenkt ringsumher, er verstreut rings um sich, weil er generös ist und ein großer Herr und Kavalier. Aber Opfer? Ihm hat auch noch niemand Opfer gebracht, im Leben geht es hart auf hart und
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