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Jud Sueß

Jud Sueß

Titel: Jud Sueß Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lion Feuchtwanger
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so bald weggeworfen, sie dankten ihm täglich für jene kurzen Stunden, sie bewahrten die Worte, die er wer weiß wie vielen gesagt und längst vergessen hatte, als teuersten Besitz.
    Um jene Zeit bekam Josef Süß Augen für seinen Diener und Sekretär Nicklas Pfäffle. Er hatte den fetten, gleichmütigen, langsamen und unermüdlichen Burschen immer gut gehalten, wie man eben einen so ungewöhnlich verwendbaren und zuverlässigen Menschen hält. Aber daß dieser Mensch außer seiner Verwendbarkeit und Zuverlässigkeit auch noch andere Eigenschaften hatte, daß er Regungen und Erlebnisse hatte, die sich nicht auf seinen Herrn bezogen, dies durchzuspüren, nahm sich Süß jetzt zum erstenmal die Mühe. Er sprach darum nicht viel anders zu Nicklas Pfäffle. Es wäre untunlich, ja ganz unmöglich erschienen, zu dem blassen, fetten Burschen ein Wort über das Sachliche und Notwendige hinaus zu sprechen. Aber sein Ton war anders zu ihm, seine Augen gingen anders zu ihm, seine Haltung war vom Menschen zum Menschen.
    Auch die Stute Assjadah spürte, daß ihr Herr als ein anderer auf ihr saß. Vielleicht ritt er jetzt nicht mehr in so großem Glanz als früher, vielleicht fühlte man rings im Volk, daß seine Hand nicht mehr die einzige war am Hebel des Regiments; aber die Stute Assjadah spürte, daß sie ihm jetzt anderes war als sein Kleid und sein Schmuck und Hausrat, daß er jetzt ihre Augen sah, daß er jetzt merkte, wie ein Leben floß in ihm und ihr.
    Kurz nach der Affäre mit dem Tabaksmonopol, während man in Stuttgart und Ludwigsburg fieberhaft an der Exekution des katholischen Projekts arbeitete, mit den anderen katholischen Höfen und Herren zettelte, Militärkonventionen schloß, bei Kaiser und Reich die Landschaft ins Unrecht zu setzen, die evangelischen Höfe zu begütigen suchte, währendPancorbo, nach neuen Geldquellen spähend, immer mehr in die Bezirke des Juden eindrang, zog sich der rätselvolle Mann plötzlich aus allen Geschäften zurück, nahm Urlaub, betraute mit der Wahrung des Wichtigsten den Nicklas Pfäffle, verließ mit unbekanntem Ziel und ohne jede Begleitung die Hauptstadt.
    Er fuhr nach Hirsau. Er kam sich auf dieser ungewohnt einsamen Fahrt ungeheuer edelmütig und erhaben vor. Zu denken, daß er mit einem einzigen Wort, mit einer einzigen Enthüllung den Herzog ganz für sich gewinnen, sich in die Mitte des katholischen Projekts setzen, die hämischen, triumphierend grinsenden Nebenbuhler an die Peripherie zurückwerfen könnte. Zu denken, daß er einfach die Hände aufmachte, das mühsam Errungene, Einzigartige, letztes, sehnlichst erahntes Ziel aller Welt, wie Wegwurf fallenließ. Wie edel war er, wie jenseitig, wie opferfroh! Er legte Ernst, Weltabgewandtheit, priesterhafte Getragenheit über sein Gesicht, er befahl seinem flinken, eleganten Körper, würdevoll langsam zu sein, seinen fliegenden, rastlosen Augen, ernst und sinnierend zu schauen.
    Wählte er sonst für seine Besuche Zeiten, in denen er den Kabbalisten fern glaubte, so suchte er jetzt seine Gegenwart. Die verströmende Hingabe des Kindes schien ihm selbstverständliche, fast geschuldete Gegengabe des Schicksals. Naemi, obzwar ihr Gesicht, Stimme, Haltung des Vaters schon bei seiner ersten Ankunft die Verdächtigungen des Magisters doppelt leer und haltlos hatten erscheinen lassen, war durch seine neue Maske leicht verwirrt. Sie sah den Vater als Simson, der die Philister, als David, der den Goliath erschlägt. Sein neues Antlitz stimmte nicht recht dazu, und wenngleich nur flüchtig, so doch wieder und immer wieder drängte sich kitzelnd und beklemmend jenes Gesicht vor, da an dem reichen Haar Absalom im Geäst hängt, und seine Züge sind die Züge des Vaters.
    Süß war sehr gekränkt, daß der Kabbalist ihm nicht die Achtung und Würdigung zeigte, auf die er jetzt doch offenbarAnspruch hatte. Einmal sagte ihm Rabbi Gabriel: »Du hast erkannt, daß du den Weg suchen mußt; das ist etwas. Aber du hast noch nicht den Weg.«
    In der Stille des weißen Hauses mit den Blumenterrassen nahm Süß das Schicksal seines Vaters in die Hand, beschaute es, drehte es hin und her. In der langen Weile überkamen die alten Anfechtungen den rastlosen Mann. Wenn er nun zu seiner väterlichen Herkunft sich bekannte, wer durfte ihn darum tadeln? Er hatte zur Genüge gezeigt, daß er demütig sein konnte: hatte er nicht nach solcher Probe das Recht, aus der Demut aufzutauchen in den Glanz, der ihm rechtens zustand? Wenn er jetzt die Stricke

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