Jud Sueß
dieser Jahre schrieb und redete er immerzu und in großen Massen, es gab kein Ding des Tages und der Ewigkeit, daran er nicht seine Rede und seine Feder geübt hätte. Bei alldem fand er, Skeptiker zuerst, dann Deist, noch Muße, erweckt zu werden und sich in die Reihe der Luther, Arndt, Spener, Francke zu stellen.
Er hatte durch sein rasches und kühnliches Zupacken im Stettenfelser Handel großes Aufsehen erregt und fühlte sich jetzt als berufener Erlöser Württembergs. Er beschloß, vertrauend auf seine Rhetorik, ganz einfach und schlechthin, wieNathan der Prophet zu David, zum Herzog zu gehen und dem Fürsten kraftvoll und dringlich als Mann zum Mann ins Gewissen zu reden. Überzeugt von der Macht und dem Eindruck seiner Persönlichkeit erbat er sich also Audienz und ging, ausgezeichnet disponiert, publizistisch, advokatisch, prophetisch in bester Form, zum Herzog, geschwellt und in hoher Stimmung, wie ein Komödiant sich auf eine gut geübte Rolle freut, die ihm liegt. Doch die Audienz verlief unerwartet. Karl Alexander empfing ihn in Gegenwart des Süß. Moser ließ sich dadurch nicht aus dem Konzept bringen. Er sprach gelehrt, gründlich, mit Überzeugung, brachte moraltheologische Argumente, Exempel aus der heiligen, der antiken, der neuen Geschichte, mischte Staatsrechtliches mit Praktisch-Billigem, brachte Vergleiche aus der Natur, kurz, er fand sich hinreißend. Der Herzog und der Jude hörten aufmerksam zu; ja, als dem im Eifer Hin- und Herschreitenden ein Sessel im Wege stand, rückte der Herzog eigenhändig ihn weg, damit Moser nicht behindert sei. Doch als der Publizist nach etwa zwanzig Minuten innehielt, den einen Arm rund und mit schöner Geste erhoben, klopfte der Herzog ihm auf die Schulter und sagte anerkennend: »Wenn das Kind, das die Herzogin erwartet, ein Junge wird, muß Er ihm die Rhetorik beibringen.« Süß hingegen machte etliche Anmerkungen über den Unterschied in der deutschen und der welschen Deklamation. Und als der schwitzende Publizist von dem schmunzelnden Karl Alexander verblüfft entlassen war, mußte er sich gestehen: »Armes Land! Armes Vaterland! Dir kann selbst ich nicht helfen.«
Der Würzburger hatte also alle Ursach zu heiterster Laune, als er jetzt in Stuttgart einzog. Die Taufe des schwäbischen Erbprinzen unter so günstigen Auspizien war ein Triumph der katholischen Sache weit über die württembergischen Grenzen hinaus. Sie wurde denn auch mit den größten Feierlichkeiten und unter solennem Zustrom katholischer Fürsten und Herren vollzogen. Der Papst ließ bei diesem Anlaß durch einen Sondergesandten die Herzogin mit dem Ritterkreuzdes Malteserordens schmücken. Nur zwei Damen außer ihr besaßen diesen Orden, die Königin von Spanien und die Fürstin Ucella in Rom.
Marie Auguste lag ziervoll, das Pastellgesicht ganz durchsichtig, in ihrem mächtigen Prunkbett. Das Amulett des Süß mit den primitiven, bedrohlichen Vögeln und den blockigen, unheimlichen Buchstaben lag trotz des Verbots ihres Beichtvaters unter ihrem Kopfkissen; sie lächelte spitzbübisch, wenn sie dachte, wie der wohl, wüßte er es, wütete. Sie war fest überzeugt, nur das Amulett habe sie gerettet; denn die Entbindung war langwierig und schmerzhaft gewesen. Jetzt, nachdem die Geburt vorbei war, fürchtete sie sehr, sie möchte dauernd entstellt sein, und die Medici Doktor Wendelin Breyer und Doktor Georg Burkhard Seeger mußten ihr immer wieder versichern, daß keinerlei Narben und silberne Furchen den Körper Ihrer Durchlaucht verunzieren würden. Mehr aber als auf die Ärzte hörte sie auf die Beruhigungen der alten Barbara Holzin, die ungeheuer kundig und autoritativ die Aussagen der Ärzte bestätigte. Im übrigen fand Marie Auguste die Situation höchst komisch. Sie betrachtete neugierig und amüsiert dies Menschlein, das sie zur Welt gebracht. Sie hatte also, ei, ei!, dem Land einen Erbprinzen geschenkt, sie beschaute sich neugierig in dem Spiegel mit dem mächtigen Rand von getriebenem Gold: nun war sie demnach im wahrsten Sinn Landesmutter. Kurios war das, kurios. Karl Alexander wußte nicht recht, was er sagen sollte; er überhäufte sie ziemlich wahllos mit Geschenken, die mehr den guten Willen als den Takt des Spenders verrieten. Dann, als sie Besuche empfangen durfte, schickte sie die fließenden Augen über Remchingen, über Riolles, weidete sich an der Unbeholfenheit der Herren, die, Kindern sehr fremd, sich mühsam bewundernde Phrasen über den Säugling abzwangen.
Es
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