Jud Sueß
Feind wird er dann leben, als der Rächer. Denn dann wird er sich die Demütigung bezahlen lassen. Die Hand den Feinden an den Hals! Zudrücken! Würgen! Pressen!
Bei Hof hatte man erwartet, Süß werde sich verteidigen, geschmeidig, vielwortig, advokatisch; oder auf seine Meriten hinweisen, pathetisch seine Unschuld beteuern; oder um sich schlagen, wüten. Nichts dergleichen. Gelassen ging er zum Herzog. Erwiderte auf die kollernden, polternden Vorwürfe des Tobenden mit keiner Silbe. Bat, als endlich der Herzog verschnaufend einhielt, in ruhigen, gesetzten Worten umseine Entlassung. Für allenfallsige Fehlbeträge hinterbleibe haftend sein gesamtes liegendes und mobiles Vermögen. Dem erst sprachlosen, dann sinnlos schimpfenden, wutlallenden Herzog wiederholte er höflich und steinruhig sein Verlangen. Da Karl Alexander hinkend, mit gehobenem Arm auf ihn eindrang, ging er, in bestimmten Worten auf rasche Verbescheidung seines wohlüberdachten gehorsamen Wunsches drängend.
Die Ankläger vor sich rufen ließ Karl Alexander. Fragte, die Stimme gepreßt vor Wut, ob sie Beweise gefunden hätten. Überhäufte, stimmlos keifend, die Stammelnden, Ausweichenden, Schlotternden mit wüsten, kotigen, pöbelhaften Schimpfworten. Im Arsch habe der Jud mehr Gehirn als sie in ihren Schlammschädeln. Er begreife nicht, wie er auf ihre ohnmächtig neidischen, hirnrissigen, blöd giftigen Stänkereien habe hereinfallen können. Was ihm der Jud lieber sei als sie saudummen Christenschelmen!
Mürrisch schickte er dem Süß die Akten zurück nebst einem riesigen Douceur und Schenkbriefen auf reiche Liegenschaften. Fahl in ihre Winkel krochen die Feinde. Fast ohne Kampf gewann sich Süß die verlorenen Positionen zurück. Dem katholischen Projekt hielt er sich noch immer fern; aber in jedem andern Bereich wieder drängte er zu, griff zu, wo man an seine Interessen streifte.
Da saß er nun in der alten Macht, straffte die Zügel, und jeder im Herzogtum spürte seine Hand. Was in der Zwischenzeit geschehen war, wurde überprüft, korrigiert. Die Kaminfeger-Verordnung, schon zurückgezogen, wurde nun doch Gesetz; die fliegenden Blätter verschwanden, nur heimlich im Abort des »Blauen Bocks« zeigte der Konditor Benz seinen Vertrauten das Dankschreiben der nachtliebenden Sozietät an Seine jüdische Hexelenz. Auch der Domänenpräsident Lamprechts schickte seine Söhne wieder in den Dienst des Juden; er hatte es sich anders überlegt, sie waren doch nicht zu alt.
So schien äußerlich die Stellung des Süß in Stuttgart wie früher. Auch trieb er wieder die brausende Geselligkeit voneh. Doch war er herrischer, minder liebenswürdig. Er leistete sich bissige, schädliche Witze, hielt auch nicht still, wenn man sich auf seine Kosten erlustierte. Den General Remchingen, als der ihn einmal in seiner gewohnten Art wegen seines Judentums gröblich verschimpfierte, sah er an von oben bis unten, von unten bis oben, und als vor seinem seltsam dringlichen, drohenden Blick dem General das Grinsen verging, lachte ihm plötzlich der Jude seinesteils greulich und unheimlich ins Gesicht.
Marie Auguste konstatierte bedauernd, daß ihr Hausjud bei weitem nicht mehr so nett und amüsant sei. Ach, es war so vieles weniger amüsant geworden!
Auch die Beziehungen zwischen dem Herzog und Süß hatten sich geändert. Karl Alexander war sehr häufig mit ihm zusammen, zeigte ihm, sein Mißtrauen wettzumachen, dicke Gunst und Gnade. Aber oft sagte er sich, es wäre eigentlich besser, des Juden ledig zu sein. Wenn er gleichwohl nichts dazu tat, so schob er es auf Befürchtungen, Süß wisse zuviel, könne ihn zu leicht kompromittieren; auch wäre es töricht, ihn, nachdem er sich dermaßen am Land gemästet, mit allem Fett aus den Grenzen zu lassen. Er gestand sich nicht, daß, was ihn an den Juden band wie das, was ihn abstieß, viel tiefer und unheimlicher in seinem Blut lag.
Auch jetzt geschah es wohl, daß Süß plötzlich die Hände fallen ließ, in sich versank, in rätselvoller Gelähmtheit weitab war. Dann streckte wohl aus dem Winkel, in den er ihn gescheucht, Dom Bartelemi Pancorbo den zerdrückten, blauroten Kopf, schickte hinter faltigem Lid das Aug nach dem Solitär an des Juden Hand. Blinzelte, krümmte die Finger zum Griff. Doch er war sehr vorsichtig geworden und begnügte sich, zu äugen und zu tasten.
Marie Auguste stand vor dem Spiegel, nackt, reckte sich, beschaute sich. Angstvoll, genau, Zug um Zug, Glied um Glied. Atmete auf,
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