Jud Sueß
höchst ordinäre letzte Form und Wirklichkeit. Wäre sie Komödiantin geworden, Vagantin, Herzogin, Hure, Heilige, nichts hätte seinen Glauben an sie entwurzelt. Nur dies eine durfte nicht sein, in die Reihen der braven, gemeinen, niedrigen, alltäglichen anderen durfte sie nicht zurückschrumpfen, diese Enge, diese schlechte, muffige Luft durfte nicht die ihre sein.
Mit feiner Spürung witterte er, daß auch an dieser nüchtern endgültigen Wandlung Magdalen Sibyllens der Jude schuld war. Auch jetzt nicht überkam ihn billiges Rachegelüst. Nur die Neugier verstärkte sich, die feine, rätselvolle, kitzelnde, bohrende Neugier: Was wird jener tun im gleichen Fall? Wie wird sein Gesicht sich ändern, seine Haltung, seine Hände? Diese Neugier stach ihn spitz, war wellig um ihn, wenn er einschlief, kroch ihm juckend, kratzend vom Kreuz her die Wirbelsäule hinauf, füllte ihn ganz an.
Mit dem Glauben an die Tochter brachen seine letzten Hemmungen nieder. Er hatte damit rechnen müssen, daß seine Stellung bei Hof, seine Teilnahme an dem katholischen Projekt auf die Dauer sich nicht vereinen lassen werde mit der Zugehörigkeit zum engeren parlamentarischen Ausschuß. Aber als man ihn dann, seine Krankheit nutzend, in der mildesten Form aus der Elfer-Kommission ausschloß, wurmte es ihn doch tief und schmerzhaft. Er nahm nun ohne weitere Rücksichten immer offener Partei für die Regierung des Herzogs. Klüger und von feinerer Witterung als der plumpe Remchingen, der gierige Pancorbo, hatte er sich an den Treibereien gegen Süß nicht beteiligt, der scheinbaren Lähmung und Ohnmacht des Juden nicht trauend. So konnte er jetzt am leichtesten die Verbindung zwischen den Trägern des katholischen Projekts und dem Finanzdirektor herstellen, ohne den es nun einmal offensichtlich nicht ging. Er kam im Hause des Süß mit den Kapuzinern aus Weil der Stadt zusammen, auch mit einem italienischen Abbé, einem Abgesandten des Fürstabts von Einsiedeln. Ging Weißensee zu solchen Zusammenkünften, so betrat er zwar das Haus des Süß der Form wegen durch die Hintertür, doch tat er es am lichten Tag und so ostentativ, daß solche Heimlichkeit als Herausforderung wirken mußte. Von den alten Freunden Bilfinger und Harpprecht löste er sich immer mehr; sie sahen ihn ernst, traurig und ohne Haß in heil- und ruchlose Verstrickung sinken.
Enger von Tag zu Tag schmiegte er sich dem Herzog an, nützte jetzt bedenkenlos die seltsame Stellung als illegitimer Schwiegervater. All seine Menschenkunde bot er auf, sich den Launen Karl Alexanders einzupassen, und der Herzog, seinen engeren Ratgebern noch grollend wegen der Intrigen gegen den Süß und vor diesem unbehaglich und ohne die frühere Vertraulichkeit, ließ sich die Schmeichelei und Willigkeit des Weißensee gern gefallen. Viele von den kleinen Diensten, die früher der Jude besorgt hatte, Entlohnung persönlicher Verpflichtungen, Zuführung und Abfertigung vonFrauen und mehr dergleichen, nahm nun unmerklich und gewandt der Kirchenratsdirektor auf sich. Der würzburgische Geheimrat Fichtel freute sich, daß sein verehrter Freund nun hemmungslos Hofmann geworden; viel lieber als den zwielichtigen Juden, mit dem man sich so schwer zurechtfand, sah er den von ihm wohlgelittenen Weißensee als Vertrauten und intimsten Begleiter des Herzogs. Er gönnte dem Konsistorialdirektor von Herzen Einfluß und Macht, und oft, wenn er, behaglich den heißen Kaffeetrank schlürfend, mit ihm zusammensaß, gab er ihm, doch nur vorsichtig und indirekt, Winke, wie er solche Vertraulichkeit des Herzogs noch weiter nähren und festigen könne.
Weißensee lenkte, um ihn enger zu fesseln, Karl Alexander auf raffinierte, lasterhaft künstliche Abwege, und der an sich gesunde Mann, der an solchen Genüssen im Grund wenig Geschmack fand und derbere Kost vorzog, glaubte es doch seiner fürstlichen und weltmännischen Reputation schuldig zu sein, auch von diesen Tafeln zu probieren. Der Prälat verschaffte ihm Frauen, die ihm eigentlich gar nicht gefielen, die aber in dem übersättigten Paris gerade Mode waren, und er verschaffte ihm welsche Arcana und Aphrodisiaka; er führte ihn immer tiefer in den vergifteten Garten und machte sich als Mentor unentbehrlich. Seltsam war, daß die Herzogin Karl Alexander nicht gern in dieser Freundschaft sah. Sie war durchaus nicht prüde, sie liebte es, sich von lasterhaften Dingen erzählen zu lassen, und bekam dabei ein angestrengt nachdenkliches, verträumtes Gesicht;
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