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Jud Sueß

Jud Sueß

Titel: Jud Sueß Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lion Feuchtwanger
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des erkühnt, er sprach von einem gemeinsamen Bekannten, dem Magister Jaakob Polykarp Schober in Hirsau. Magdalen Sibylle lächelte ein kleines, zwielichtiges Lächeln. Ach Hirsau! Ach der dickliche, gutmütige, pausbäckige Magister! Der Duft gebratener Äpfel und der andächtige, plärrende Gesang vom Himmlischen Jerusalem floß in ihrer Erinnerung zusammen. Unterdes sprach der Expeditionsrat Rieger weiter von dem Magister, er erzählte bescheiden, umständlich und mit großer Achtung von seinen Poesien, von dem Lied: »Nahrungssorgen und Gottvertrauen« und auch von jenem andern: »Jesus der beste Rechenmeister«, und Magdalen Sibylle hörte den ehrbaren Worten des Expeditionsrats still und friedlich zu.
    Die grenzenlose, andächtige Verehrung, die aus seinem ganzen Wesen so selbstverständlich zu ihr aufstieg, tat ihr wohl. Ihr Leben bei Hof, auch wenn sie nur die nötigsten Visiten erstattete und empfing, warf ihr zahllose Menschen vor die Augen, die sich vor ihr sehr künstlich und krampfig zierten und vermummten, mit ihrer sehr absonderlichen Stellung nichts anzufangen wußten. Sie war Mätresse des Herzogs und Pietistin und Freundin der katholischen Herzogin, dasreimte sich nicht, daraus konnte man nicht klug werden. So stieg aus den Menschen, mit denen sie zusammenkam, ein dumpfes Gemisch von Spottlust und Befangenheit und Unbehagen und frecher Neugier und Servilität zu ihr auf, dergestalt, daß ihr ein unverfälschtes, freies Menschenwort sehr selten ins Ohr klang. Deshalb ging ihr die naive, selbstverständliche Bewunderung des Mannes freundlich ein.
    Sie sehnte sich immer mehr nach Ruhe und kleinem Leben. Dem wilden und leeren Getriebe des Hofes, dem glänzenden und aufreibenden Apparat der Macht schrieb sie es zu, daß Süß kein inneres Aug für sie hatte, und dieses höfische Dasein ward ihr mehr und mehr zuwider. Es gor etwas hoch in ihr von dem dumpfen, vererbten Haß ihrer Vorfahren gegen die glänzenden, brausenden Herren; unter den Eltern ihrer Mutter war einer Führer im Aufstand des Armen Konrad gewesen und schmählich hingerichtet worden. Sie richtete ihr Haus vor dem Tor immer schlichter ein, kleidete sich immer fraulicher und bürgerlicher, verschmähte, wo es ging, die Perücke. Karl Alexander, der wenig mit ihr zu reden wußte und sie eigentlich nur mehr deshalb hielt, weil er glaubte, diese Liaison stehe ihm gut und sei populär, sah erstaunt zu, begnügte sich aber, da auch die Herzogin belustigt mehr als schockiert schien, mit verständnislosem Kopfschütteln.
    Wer aber Magdalen Sibyllens Verbürgerlichung mit tiefem, machtlosem und erbittertem Kummer sah, war Weißensee. Er war der Tochter nie nahegekommen, ja, das ernsthafte, schwersinnige Mädchen war ihm die Jahre in Hirsau über eigentlich etwas unbequem gewesen. Aber doch war sie seine Erfüllung und heimlicher Stolz. Sie war aus feinerem Stoff als die anderen Menschen, sie war anders, über ihnen. Sie hatte ihre eigene Luft um sich, und selbst der Skeptiker, auch wenn er lächelte, sprach zarter zu ihr und unwillkürlich achtungsvoller. Der sehr kluge und urteilskräftige Mann wußte genau, daß ihm bei aller Begabung letzte menschliche Schwerkraft fehlte, daß er kernlos war; Magdalen Sibylle aber hatte diesen Kern, ihr Schritt, ihr Atem, ihre Stimme hatte jenes natürlicheinnere Gewicht, er sah in ihr seine Vollendung, daß sie seiner Lenden Kind war, schien ihm Rechtfertigung vor sich selbst. Er wagte an ihr auch keine heimliche innere Kritik. Einerlei, was sie war, ob Dame, ob Heilige, sie war jedenfalls gemeinen Menschen fern und unerreichlich, war anders, Inhalt und Zweck einer höheren, in sich geschlossenen Welt. Als dann der Herzog kam und sie zertrampelte, konnte dies, sosehr es ihn umwarf und aushöhlte, an ihr Bild in seinem Inneren nicht rühren. Sie war in Gestalt eines schwäbischen Mädchens Athena, unter die Sterblichen sich mischend, oder eine Halbgöttin zumindest.
    Wie sie aber in Kleidung, Lebenshaltung und Wort mehr und mehr verbürgerte, zerbrach ihm dieser sein liebster Gedanke, seine kräftigste Stütze und bestes Argument gegen Selbstvorwurf und nagendes Nichtgenügen. Oh, diese schien nicht nur, sie war eine Bürgerfrau. Die philadelphische Schwärmerin, die marmorstarre Herzogsmätresse, ihrer Allmacht nicht achtend, mit der Seele auf einem anderen Stern zu Haus, waren Verpuppungen gewesen. Die nüchterne Bürgerfrau, praktisch im Alltag wirkend und an ihm zufrieden, war die ridiküle, endgültige,

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