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Jud Sueß

Jud Sueß

Titel: Jud Sueß Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lion Feuchtwanger
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gespürt, mehr verstanden von seiner Isolierung, seinen Kämpfen, seinen Niederlagen, seiner Gelähmtheit, seinem neuerlichen Aufstieg. Aber ihr scheues und ihr offenes Werben um ihn blieb ohne Krone; er war zu ihr von einer sehr höflichen, vertrauensvollen Freundschaftlichkeit, doch alle männliche Glut war verascht.
    Sie verzweifelte daran kein zweites Mal; sie beschied sich. Sie ging ihre graue und sonnenlose Straße. Sie überlegte klar, fest, sachlich: sie hätte zur Gutsherrin getaugt, ein großer Landedelmann etwa, nicht sich verschließend vor der Welt, doch am stärksten und sichersten auf seinem Boden, bei seinen Bauern, wäre ihr der Rechte gewesen. Nun hatte sie ein böser Irrstern in die falsche Welt getrieben. Sie selber war nicht schuldlos daran: ungerufen erscheint Beelzebub nicht, wer, wie sie damals im Wald, ihn sieht, der hat sich im Innersten, Verstecktesten nach ihm gesehnt. Sei es wie immer, es war unsinnig, darüber weiterzugrübeln. Jetzt jedenfalls war sie an diesen Hof gebannt, der ihr ein sinnlos wirbelndes Durcheinander bunter Tiere erschien, und der einzige Mensch unter ihnen, zu dem es sie mit tausend Stricken zog, war durch seine höfliche, vertrauensvolle Freundschaftlichkeit ihr ach! tausendmal ferner als damals der Teufel im Wald von Hirsau.
    Häufiger wieder ging sie zu Beata Sturmin. Schon war ihr die blinde Heilige kein törichtes, altes Mädchen mehr, die Stille, in der sie selber lebte, war ihr in Gegenwart der gefriedeten, frommen, begnadeten Frau minder kahl und dumpf, jamanchmal fühlte sie diese Stille fast körperlich wie einen guten, warmen Mantel.
    Bei der Beata Sturmin traf sie öfters den Stadtdekan Johann Konrad Rieger, Stuttgarts besten Prediger, und seinen jüngeren Bruder Immanuel Rieger, Expeditionsrat. Johann Konrad, der Prediger, konnte seine flutende Beredsamkeit auch in der ruhigen Stube der Heiligen nicht zügeln. Er war ein gutmütiger, rechtschaffener Mann, aber warum sollte er nicht wuchern mit dem Pfund, damit die Gnade des Herrn ihn begabt? Und er breitete seine schönen, dunkelhallenden Worte vor seine Hörer wie kostbaren Samt, damit sie sich daran ergötzten. Magdalen Sibylle ward durch den beredsamen Mann an Johann Jaakob Moser erinnert, den sie zuweilen bei Marie Auguste traf, und einmal sprach sie auch von dem Publizisten und seiner geübten Rhetorik, harmlos und ohne große Anteilnahme. Aber da schwoll der sonst so gütige Prediger giftig an, er geiferte gegen die satanische Eitelkeit jenes Redners, und wie überhaupt solche profane Rhetorik Blendwerk sei und Erfindung des Teufels, und die blinde Heilige konnte die Wut des Mannes gegen den weltlichen Konkurrenten nur mühsam zähmen, bis er endlich, noch lange nachgrollend, sich beschied.
    Immanuel Rieger, der Expeditionsrat, hörte ehrbar und andächtig zu, wenn sein berühmter Bruder sprach. Er war ein kleiner, hagerer, unscheinbarer Mensch; um seinem knabenhaft schüchternen Gesicht ein bißchen Männlichkeit zu geben, trug er der Mode zuwider einen kurzen Schnurrbart. Sehr geneigt, an jedem Menschen nur das Gute zu sehen, betrübte es ihn tief, daß sein Bruder über den allseitig verehrten Publizisten sich derart abfällig äußerte; doch seine Bescheidenheit wagte nicht, seine abweichende Meinung anders als durch leicht wehrende Handbewegungen kundzutun. Es war dem fleißigen und gewissenhaften Beamten ein tiefes, inneres Bedürfnis, es war seine Erholung und einzige Lust, große Männer verehren zu dürfen, und es war nicht sehr schwer, ihm als großer Mann zu gelten. Es gab so viele Leute, dieGott mit hohen Gaben reich begnadet hatte, er sah gerne voll Hingebung und wahrer Bewunderung zu ihnen auf, er war selig, in dem Kreis der blinden Heiligen mit so vielen wahrhaft bedeutenden Männern und Frauen verkehren zu dürfen.
    Zu Magdalen Sibylle blickte er in hemmungsloser Verehrung, knienden Herzens empor. Welche Frau! Welche Märtyrerin! Dieses reinste und tugendhafteste Weib des ganzen schwäbischen Kreises, was mußte sie gelitten haben, wieviel tausend Tode mußte sie gestorben sein, als der ketzerische Souverän sein Aug auf sie warf. Sein Aug auf sie warf, eine andere Formulierung wagten seine dreistesten Träume nicht. Und wie würdig trug sie, diese mit allen Wundern des Leibes und der Seele begabte Heilige, ihre Dornenkrone.
    Schüchtern wagte der kleine, unscheinbare, schnurrbärtige Herr manchmal ein Wort an sie. Er sprach nicht von seiner ungeheuren Bewunderung, nie hätte er sich

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