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Jud Sueß

Jud Sueß

Titel: Jud Sueß Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lion Feuchtwanger
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Manuskripte vor, für Zeitschriften bestimmte, und größere Werke und Broschüren, theologische, juristische, nationalökonomische, Abhandlungen über politische Tagesfragen, doch auch Ästhetisches, Botanisches, Mineralogisches; denn Johann Jaakob Moser war sehr gelehrt. Er rezitierte alles mit dem gleichen Feuer und mit vielem Ausdruck. Gewöhnlich hörte Marie Auguste nicht recht hin; sie ließ sich frisieren, während er sprach, oder maniküren, las wohl auch den »Mercure galant«; häufig hätte sie nicht sagen können, ob er ihr deutsch vorlas oder lateinisch. Aber das gleichmäßige Geräusch, das dieser Cicero mit solcher Beflissenheit hervorbrachte, ging angenehm ins Ohr, es war auch amüsant, die stattliche, bewegte Statur des erregten, komödiantischen Mannes vor Augen zu haben, und es kitzelte, daß dieser Demokrat und Fürstengegner sie so jungenhaft und gegen sich selber knirschend anschwärmte. Manchmal dann, wenn er seine großen, etwas leeren Augen himmelnd und dringlich auf sie richtete, glitt sie mit langsam fließendem Blick in den seinen und lachte, wenn er, sich rötend, schwerer atmete. Er aber, zu Hause, schilderte umständlich und mit vielen geläufigen Worten seiner Frau die Schönheit der Herzogin, und wie sie offensichtlich Wohlgefallen an ihm finde, wie aber sein Herz gepanzert sei mit dreifachem Erz. Und er warf sich auf die Knie und betete zusammen mit seinem Weib brünstig und in sehr wohlgesetzter Rede, Gott möge ihm auch künftig die Kraft leihen, gegebenenfalls den Mantel im Haus der Herzogin zurückzulassen.
    Unter den Frauen schloß sich jetzt wie früher Marie Auguste an eine einzige enger an, Magdalen Sibylle. Ihr schmeichelte sie, schmiegte sich an sie, machte sich klein, sprach zu ihr wie eine dumme, kleine Schwester zu der alles wissenden älteren. Ach, Magdalen Sibylle, wie war sie ernsthaft und gescheitund voll Erfahrung und Gewissen. In ihrem, der Herzogin, kleinen Kopf flatterte alles bunt und wirr durcheinander wie farbige Mücken, und alles glitt an ihr ab wie Wasser, und nichts haftete. Aber Magdalen Sibylle bewahrte alles, was gesagt wurde und was geschah, sorgsam auf und betrachtete es und gab sich damit ab und verwandelte es in ihr Eigen. Darum war sie auch so schwer von Erlebnissen und Erfahrungen, und sie, die Herzogin, war ganz klein und dumm vor ihr, trotzdem sie doch eine Krone trug und im eigentlichsten Sinn Landesmutter war und sogar Inhaberin des Malteserkreuzes.
    Magdalen Sibylle war mit Zurückhaltung freundschaftlich zu ihr, suchte sich, so gut es gehen wollte, in das wellenhaft wandelbare Geschöpf einzuspüren. Manchmal freilich überkam sie fast ein Grauen vor solch tänzelnder Schwerlosigkeit. War denn diese Frau, an der alles abglitt, Mann, Kind, Land, diese nicht zu haltende, nur ihrer leiblichen Gestalt lebende, war sie denn wirklich, war sie nicht ein Gebild aus Luft, eine Spiegelung, etwas Entwestes, ein farbiger Schatten?
    Das große Mädchen mit den bräunlichen, männlich kühnen Wangen war müde geworden. Der tiefe Glanz der blauen Augen, so unwirklich und unwahrscheinlich unter dem dunklen Haar, wurde blasser, die Haltung der straffen Glieder lässiger, fraulicher. Sie hatte sich abgekämpft, sie war niedergebrannt, nun war sie still und nicht mehr geneigt, wild und empört zu lodern.
    Sie war durch Demut und Entzückung der Brüdergemeinde gegangen, die Schrift hatte ihr Klang und Sinn gehabt, sie hatte Gott geschaut, die Apostel hatten sich an ihr Bett gesetzt und mit ihr gesprochen. Dann hatte sie im Wald den Teufel gesehen, sie war, Fackel und heiliger Brand, ausgezogen, ihn zu bestehen. Und dann waren der Herzog und der Jud gekommen und hatten wie eine große Schlammflut ihren Garten überschwemmt und verwüstet. Alle Blüte und Frucht und Baum und Grün war tot und verschlammt gewesen, und als die Wasser sich verlaufen hatten, war nichts geblieben als nasser, unfruchtbarer Kot.
    Und dann war die Werbung des Süß gekommen. Sie hatte trotz der ersten Enttäuschung ihn für eine große, lebenzeugende Sonne angeschaut und hatte sich ihm ganz erschlossen, alle Poren des Leibes und der Seele ihm willig und mit gewußter, grenzenloser Hingabe geöffnet. Aber er war eine Sonne gewesen, die nicht wärmt und die fahl und mitleidlos und unerreichlich ihre Straße zieht. Sie hatte allen Willen darauf gerichtet, ihn zu begreifen, sie hatte sich mitreißen lassen von ihm, und sie hatte auch, mehr als jeder andere, von seinen Verwicklungen

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