Jud Sueß
Obervogteien. Jedem Obervogt sollte ein Regiment Soldaten zugeordnet, die Beamten ihm unmittelbar unterstellt sein. Das bedeutete die rein militärische Verwaltung des Landes, die Legalisierung der Militärautokratie.
Um das Parlament vollends lahmzulegen, war ein Dekret vorbereitet, das jeder Sitzung des Elfer-Ausschusses einen vom Herzog bestimmten Geheimrat beiordnete. Dieser Beamte sollte die herzoglichen Anträge begründen, zugleich aber auch achthaben auf diejenigen, welche sich gegen die Vorlagen aussprächen; sei ihre Meinung die bessere, so werde man sie annehmen, geschehe aber die Opposition aus purer Böswilligkeit und Widerspruchsgeist, so werde man eben ein Stück oder mehrere auf die Festung setzen.
Unter Vertilgung von zahllosen Schalen Kaffee arbeitete der unscheinbare Geheimrat Fichtel, assistiert von dem Konsistorialpräsidenten, eine umständliche, höllisch schlaue Deduktion aus, die vor Kaiser, Reichstag und Corpus Evangelicorum diese Willkürmaßnahmen rechtfertigen sollte. Mit treuherziger Biederkeit war die Verfassung ins Gegenteil kommentiert, mit feinster advokatischer Kunst war vor allem das Argument ausgespielt, bei den zwischen Herrn und Landschaft errichteten alten Verträgen sei wohl zu beachten, in was für Zeiten solche gemacht worden; mit dem, was vor Jahren gut gewesen, sei in heutigen Tagen nicht mehr hinauszugelangen.
Tausend Hände arbeiteten geschäftig ineinander. Papst und Kaiser gaben wohlwollend ermunternde Winke, und jene alten, nebelhaften Abmachungen, die Karl Alexander bei Regierungsantritt mit den Wiener Räten getroffen hatte, wonach er den Kaiser im Franzosenkrieg, der Kaiser ihn bei Wahrung seiner Souveränität mit Truppen solle unterstützen müssen, gewannen plötzlich einen für die württembergische Verfassungspartei sehr bedrohlichen Sinn. Der alte Fürst Thurn und Taxis reiste in den österreichischen Niederlanden und gab von dort Direktiven für die Stuttgarter Verwaltungsreform. Die militärische Organisation besorgte straff und grob Remchingen, die finanzielle Süß, die diplomatische Fichtel, die Aushöhlung und Zermürbung des Parlaments Weißensee.
Karl Alexander arbeitete rastlos, fieberig. Hielt Konferenzen, schrieb selber zahllose Briefe, visitierte die Truppen. Er stürzte sich in das katholische Projekt wie in ein heilendes Bad. Kein Aderlaß hatte ihm, keine Schröpfkur der Doktoren Breyer und Seeger ihm geholfen, wenn der dumpfe Zorn über den Juden ihm das Blut dick und schwer zu Kopfe steigen machte. Jetzt hatte er ein vages Gefühl, es könne ihn das katholische Projekt frei und los machen.
Der Herzog war keineswegs fromm. Es war weiß Gott nicht die himmlische Maria gewesen, um derentwillen er sichzur römischen Kirche bekannt hatte, sondern Marie Auguste von Thurn und Taxis und ein Sack voll Dukaten. Aber er war auch trotz gelegentlicher freigeistiger Scherze nicht geneigt zu einem prinzipiellen und bedingungslosen à-la-mode-Atheismus. Er fühlte sich in den Riten der Kirche sehr behaglich, einem Soldaten und großen Herrn stand aus mancherlei Gründen diese Religion viel schöner an, insonderheit paßte der prunkvolle Glaube viel besser zu den reichen und prächtigen Uniformen, die er liebte. Auch war es bequem, dem milden und behäbigen Pater Kaspar zuweilen zu beichten, obzwar man seine heimlichsten und sündigsten Gedanken einem andern schwerlich sagen, ja für sich selber kaum ein zweites Mal recht packen konnte.
Jetzt wurde sein lässiger Glaube ernsthaft, gewann Kern. War früher sein Religionsbekenntnis nichts gewesen als politisches Mittel, als praktische Vorbedingung einer von Kaiser und Rom unterstützten schwäbischen Militärautokratie oder bestenfalls Dekoration, so begann sich ihm der erstrebte Absolutismus jetzt allmählich mystisch zu vernebeln. Er sah sich im Dienst einer großen, göttlichen Idee; die Macht, um die er rang, war etwas Heiliges, der Kampf um sie Gottesdienst. Er wurde zur Freude Pater Kaspars und der befreundeten geistlichen Fürsten sichtlich frömmer und strenger in der Befolgung der Bräuche.
Es war aber dies, daß er, ohne es sich zu gestehen, in solchem Gottesdienst eine Sühnung sah für seine seltsame, haßvolle, unzerstörbare Neigung zu dem Juden. Mit verschmitzter, von den Jesuiten erlernter Rabulistik machte er sich vor, er habe den Juden aus politischen Gründen nötig, nur darum toleriere er seine aufreizende Gegenwart. Sowie er aber am Ziel sei, werde er den Kujon am Kopf packen und auf
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