Jud Sueß
Kombinierer, als der Herzog ahnte, er hatte Aug und Ohr gut auf und konnte sich auch Abliegendes sehr wohl zusammenreimen. Auf seine verschlossene, lautlose Manier erschien er jetzt zuweilen bei Süß, auf seine verschlossene, stille Manier, lässig, breitete er ihm diese und jene Heimlichkeit des Fürsten hin, die der Jude nicht wissen konnte und sollte. Und dann schauten die beiden Männer sich an, die fliegenden, jetzt minder gewölbten Augen des einen gingen in die stillen, tierhaften des andern, und in beider Augen war das gleiche, wilde, zähe Hassen.
Einige stillere Tage nutzte Süß, nach Hirsau zu fahren. Das weiße Haus lag jetzt ganz schweigsam. Rabbi Gabriel sprach kein Wort; die Männer begrüßten sich, sonst sahen sie sich nicht. Endlich, nach Tagen, zwang es dem Rabbi den Mund auf: »Ich sehe unter Fleisch und Knochen dein Gesicht, Josef.«
»Bin ich anders geworden?« fragte Süß. Und, grimmiger, setzte er hinzu: »Jetzt seh ich wohl in Wahrheit aus wie ein rechter Jud. Oder bin ich noch immer meines Vaters Sohn?«
»Leid kratzt die Tünche vom Gesicht«, sagte Rabbi Gabriel. »Du hast ein zerlittenes Gesicht, du hast ein jüdisches Gesicht. Dein Weg ist falsch, Josef«, sagte er nach einer Weile noch, »du wirst ihn müssen zurückgehen.« Aber Süß schwieg und änderte keinen Zug, und man konnte nicht erkennen, ob er gehört hatte. Von dem Kind sprachen sie nicht.
Süß ging durch die feierlich fröhlichen Blumenterrassen, die das Kind geliebt hatte, er starrte auf die Bilder des kabbalistischen Baums und des himmlischen Menschen, mit denen sie ihre Augen erfüllt hatte, er starrte auf die Seiten mit den großen, blockigen Buchstaben des Hohenlieds, das sie vor den anderen Büchern der Bibel geliebt hatte. Aber die süßen und lieblichen Worte läuteten ihm nicht ihr holdes Gekling, eine heiße, wilde Mahnung fauchte ihn an daraus, er konnte die Seiten nicht länger anschauen.
Unvermutet, im Wald, traf er den Kirchenratspräsidenten. Weißensee hatte sich wieder zu seinem Bibelkommentar zurückgezogen, schlurfte herum in seinen geräumigen Stuben mit den weißen Vorhängen, führte nachdenklich Konversation mit dem Magister Schober. Jetzt bat er den Süß, seine Begleitung zu erlauben. Da der Jude nicht antwortete, nahm er es für Zustimmung, schloß sich ihm an. Langsam, behutsam, wortkarg ging er mit ihm durch den sonngesprenkelten Wald, folgte ihm, da er es nicht wehrte, durch die Terrassen in das weiße Haus. Saß mit ihm, stumm, in sonderbarer Befangenheit, in dem Zimmer mit den magischen Figuren. Nach einer Weile gesellte sich auch Rabbi Gabriel zu. Da hockten die drei Männer, rundrückig, schwersinnig, müde. Sie sahen, daß sie alt waren, sie spürten, wie ihnen das Leben aus den Leibern glitt, in die Vergangenheit entrann, Augenblick um Augenblick, sie spürten es deutlich, leibhaft, mit einer wehen Wollust, wie einer, der krank vor Müdigkeit die Glieder streckt, sie spürten einer des andern Druck, und sie spürten sich einer im andern in solcher lüstigen Mattheit.
Anderntags verabschiedete sich Rabbi Gabriel von Süß. Er war gewillt, nicht mehr in das Land zurückzukehren. Süß war weicher, gelöster als sonst. Sosehr er sich gegen den Rabbi aufbäumte, so höhnisch er jene Forderung, seinen Weg zurückzugehen, als weichmütiges Gefasel abtat, er hätte ihn doch gern in seiner Nähe gewußt. Es war auf dem Antlitz des dicken, häßlichen Mannes ein Abglanz des Kindes, Naemis Träume waren hinter seiner breiten, nicht hohen, vorgebauten Stirn mit den eingezackten Furchen des Schin. Wenn er nun fort ist, wird Süß sehr allein sein. Aber dies gestand er sich nicht ein; er machte sich vor, er sei verdrossen nur deshalb, weil er jetzt keinen Zeugen mehr haben wird, wie sein Weg der rechte ist und seine meisterliche Rache das einzige Mittel, ihn wieder mit dem Kinde zu verbinden.
Er stand gespalten vor dem Kabbalisten und sehr bereit, ein milderes Wort zu geben und zu nehmen. Aber der Rabbi war mürrisch und mißlaunig wie sonst. Seine Bücher und daskabbalistische Gerät war fast alles schon weggebracht. Mit seiner knarrenden Stimme gab er dem alten Diener noch die und jene kurze Weisung. Dann, nach Osten gerichtet, nach Zion, sprach er das Gebet vor Antritt einer großen Reise, je dreimal in drei Wendungen das Bekenntnis zum Vertrauen auf die Hilfe Jahves. Richtete nochmals die trübgrauen Steinaugen auf Süß, knarrte ihm kurz und mißtönig den letzten Gruß: »Friede mit
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