Jud Sueß
auf morgen. Anderntags ging er nach Ludwigsburg. Amüsements, Repräsentation, andere politische Geschäfte drängten vor.Der Tag kam, da das Urteil rechtskräftig wurde, und keine Gegenordre war erschienen. Der junge Michael Koppenhöfer mußte wie sein Vetter Friedrich Christoph außer Landes gehen, und der Abend des Professors Johann Daniel Harpprecht wurde kahl und ohne Licht.
Nun konnte Karl Alexander vorderhand nicht mehr gut etwas rückgängig machen. Dachte er an die Damen Götz, so war er eigentlich sehr befriedigt darüber. Doch dies gestand er sich nicht ein. Es faßte ihn vielmehr eine dumpfe Wut gegen den Juden. Der war schuld an allem; der hatte ihn vor die Wahl gestellt: Harpprecht oder ihn, den Juden.
Süß wußte, Karl Alexander hatte eigentlich nie eine bewußte Schurkerei begangen; sicherlich auch wird er sich die wahren Motive dieser Ausweisung nicht eingestehen. Darum juckte es ihn, den Herzog so darauf zu stoßen, daß dieses Urteil fortan an ihm nagen sollte. Er warf gelegentlich hin: »Jetzt wird die Affäre der Damen Götz besser marschieren, nachdem wir den jungen Koppenhöfer haben aus dem Licht geschafft.« Der Herzog wollte zufahren, aber er brachte es nur zu einem Knurren und erwiderte ohne viel Nachdruck: »Wir? Wir?« Süß aber begnügte sich, zu lächeln, und schwieg.
Seinen Feinden kam zu Ohren, daß dem Herzog das Vorgehen des Juden gegen den jungen Koppenhöfer zu rasch gewesen sei und nicht erwünscht. Sie begriffen nicht die Langmut des Herzogs, nützten den Anlaß, gegen solche unfaßliche Geduld Sturm zu laufen. Sie wiesen darauf hin und belegten es mit vielen Ziffern, wie Süß an dem Land presse und sauge, nur für seine Kassen, ohne daß für den Herzog was dabei herausspringe, wie er in jedem Geschäft den Herzog begaunere und bewuchere. Sie sprachen fast zwei Stunden, und Karl Alexander wies sie nicht zurück; er hörte sie zu Ende, ja, er ließ sich Details, die er nicht recht verstand, genauer erklären; vor allem ließ er sich von Dom Bartelemi Pancorbo auseinandersetzen, wie schamlos Süß ihn mit minderwertigen Steinen prelle und betrüge. Als die Herren fertig waren, entließ er sie höflich, ohne jede Äußerung.
Anderntags, unaufgefordert, erschien Süß in der Residenz. Er höre, sagte er, man intrigiere von neuem gegen ihn. Er möchte sich die Beschämung ersparen, daß man ein zweites Mal seine Papiere durchschnüffle. Er bitte darum wiederholt, submissest und dringlich um seine Entlassung.
»Hör, Jud!« sagte Karl Alexander. »Du hast mir im Oktober einen Stein verkauft um was mehr als fünftausend Dukaten. Was ist der Stein wert?«
»Heut keine fünfhundert«, sagte der Jude. Und das Aug in dem des Herzogs, mit einem frechen, fatalen Lächeln fügte er hinzu: »Ja, solche Steine haben Liebhaberpreise, und ihr Wert wechselt.«
»Es ist gut«, sagte Karl Alexander. Dann schwiegen beide. Der Herzog läutete und befahl sogleich den Hofkanzler Scheffer, prestissimo. Es vergingen aber zwanzig Minuten, bis der Kanzler kam, und während dieser zwanzig Minuten sprachen die beiden Männer kein Wort. Sie dachten auch nicht einer des andern. Es war ein tiefes, wunderliches, erfülltes Schweigen in dem hellen, weiten, prunkenden Raum. Bilder und Träume kamen und gingen vom Herzog zu Süß, von Süß zu dem Herzog. Die knarrende Stimme des Magus war in diesen Träumen, und das tote Kind war darin, die Finger gestreckt im Zeichen des Schin.
Endlich kam Herr von Scheffer. Er zählte jetzt zu den Feinden des Süß, er schwitzte, da er den Juden sah, vermutete, der Herzog wolle ihn dem Juden gegenüberstellen, und er werde gegen den teufelsgewandten Mann einen schweren Stand haben.
Allein es ging anders. Der Herzog, kaum daß der Kanzler eingetreten war, nahm Haltung an und sagte streng, militärisch, eiskalt, befehlsmäßig zu dem betroffenen Minister: »Der gegenwärtige Herr Finanzdirektor klagt über Verleumdung seiner Geschäftsführung und postuliert seine Entlassung. In Ansehung seiner zu Unserm völligen, gnädigen Vergnügen geleisteten Dienste wünschen Wir, daß alles geschehe, ihn zu halten. Wollen Sie also, Exzellenz, sogleich eine Urkundeaufsetzen, eine Legitimationsurkunde oder Absolutorium oder wie Sie es benennen wollen, eine herzogliche Gesetzes-Ordre, die den Herrn Finanzdirektor für alle seine Handlungen, die vergangenen wie die zukünftigen, außer aller Verantwortung setzt. Von niemand, mag er sein, wer er will, soll er können wegen seines
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