Jud Sueß
stehen, in ihre Gebetmäntel gehüllt, sie und sieben andere, zehn, wie es Vorschrift ist, sie kümmern sich nicht um das Volk, das vom Galgen weg auf sie schaut, sie wiegen heftig die Leiber, stehen und schreien, gellen, gurgeln die Sterbegebete, über den weiten Platz hin: »Höre, Israel, eins und ewig ist Jahve Adonai.« WeißlicheWolken in dem starken Frost ziehen die Worte von ihren Mündern in die Ohren des Mannes im Käfig, und der Sohn des Marschalls Heydersdorff tut den Mund auf, schreit zurück: »Eins und ewig ist Jahve Adonai.«
Behend wimmeln, klettern die bunten Knechte die Leitern hinauf. Der Käfig hebt sich, die Schlinge drosselt zu. Unten flucht der Stadtvikar dem Sterbenden nach: »Fahr zur Hölle, verstockter Schelm und Jud!« Das gelle Adonai der Juden ist in der Luft und in den Ohren aller. Aus dem Käfig tönt es zurück, bis die Schlinge den Ton erdrosselt.
Ganz vorn auf der Tribüne hat sich der Geheimrat Dom Bartelemi Pancorbo erhoben, er stützt die dürren, knochigen Hände auf die Brüstung, reckt aus der riesigen Halskrause den entfleischten, blauroten Kopf. Gierig hinter faltigen Lidern äugt er dem Käfig nach, wie er hochschwebt und in ihm der Mann in dem scharlachfarbenen Galarock und an dem Finger des Mannes der Solitär, tausendfarbig blitzend in der hellen Winterluft.
Nachdem der Kordon der Truppen aufgelöst war, beschaute sich die Menge den Galgen genau, ein paar Buben erstiegen die Leiter bis zur halben Höhe, man befühlte das Gerüst, oben auf den Stangen des Käfigs saßen in dicken Scharen schwarze Vögel.
Langsam zog die Menge in die Stadt zurück. Man hielt den Tag als Feiertag, aß gut, trank gut, soff, tanzte und raufte in den Schenken. Der junge Bürger Langefaß hatte aus dem Kot das zertretene Barett des Süß erobert, er war ein lustiger Bruder, berühmt als Witzbold; er stülpte sich das Barett auf, er stülpte es auch Mädchen und Mägden auf, die vergraust kreischten unter dem Barett des gehenkten Juden. Dennoch kam die rechte Lustigkeit nicht auf. Man wußte nicht recht wie, aber man hatte sich den Tag anders, befreiter, heiterer vorgestellt. Man sang: Der Jud muß hängen, man sang: Da sprach der Herr von Röder: / Halt! oder stirb entweder! Doch das Adonai des Juden wollte nicht aus dem Ohr. Die Kinder spielten Hängen; und das Spiel ging so, daß eineroben stand und Adonai schrie und die anderen standen unten und schrien, brüllten, johlten, gellten: Adonai.
In der Nacht nach der Hinrichtung, gegen drei Uhr etwa, kam ein hagerer, großer Herr die Tunzenhofer Steige herauf zu dem eisernen Galgen. Der Weg war ein übles Gemisch von Dreck und schmelzendem Schnee, beschwerlich zu gehen. Der hagere Herr, sehr fröstelnd, hüllte sich tief in einen weiten Mantel von altmodischem, verschollenem Schnitt. Er hatte zwei Burschen mit sich, verkommene Bürgersöhne, in Stuttgart bekannt als beherzt und zu jeder Unternehmung willens, wenn sie nur Geld trug. Die beiden Burschen stiegen ungesäumt die Leiter zu dem Galgen hinauf. Sie hatten Mühe, die Sprossen waren glitschig und gefroren, sie fluchten leise vor sich hin. Um sie herum flatterten Vögel, die Tag und Nacht in dicker Menge auf dem Galgen hockten. Oben hielten sich die beiden Burschen ungebührlich lange auf. Der dürre Herr, der unten wartete, zog nervös die Schultern hoch, trat von einem Fuß auf den andern, murmelte unterdrückt und unwirsch vor sich hin. »Habt ihr ihn?« herrschte er sie, leise, an, als sie endlich wieder unten waren. »Er ist nicht da!« stammelten verstört die Burschen. »Ihr habt ihn gestohlen, ihr habt den Stein gestohlen!« bellte heiser, mühsam gedämpft, der Portugiese. »Ich lasse euch den Prozeß machen, ich lasse euch rädern!« Doch die Burschen, verängstet, versicherten: »Der ganze Jud ist nicht da. Es hängt ein anderer im Käfig. Der Teufel hat ihn geholt.« Dom Bartelemi, lang ungläubig, ließ schließlich noch in der Nacht durch Leibhusaren, amtlich, den Käfig untersuchen. Ja, die Leiche war gestohlen, ausgetauscht.
In aller Frühe schon war der wütende, geprellte Mann beim Herzog-Administrator. Das kam von der Güte Seiner Durchlaucht. Jetzt hatten die Juden den Solitär gestohlen. Den Solitär? Karl Rudolf dachte an den Berg von Gold, glaubte es nicht. Die Leiche, ja, die konnten sie gestohlen haben. Er überlegte, hellte sich auf, schmunzelte fast. Eigentlich waren sie Teufelskerle, diese Juden. Stahlen einfach dieLeiche vom lichten Galgen weg; Christen
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