Judassohn
Gut, das üben wir gleich.« Metunova rutschte vom Tisch. »Wie ich dir gezeigt habe, hindern uns spitze, scharfe Gegenstände über den Eingängen eines Hauses beim Eintreten oder Verlassen. Schreib dir auf, dass du in der direkten Sonne nicht länger als eine halbe Stunde ausharren darfst. Danach vergehst du wie verbrennendesFleisch am Spieß.« Sie warf ihm einen durchdringenden Blick zu. »Verstanden?«
Er nickte und kritzelte rasch zu Ende. Jetzt hatte er durchaus Unbekanntes erfahren.
Marek hat mir nichts davon gesagt!
Dominic hatte nicht einmal gewusst, dass er tagsüber wachen, geschweige denn die Sonne sehen konnte! Er fühlte Aufregung. Sein Werdegang als Vampyr, als Judassohn, veränderte sich mit der Flucht aus Paris von Nacht zu Nacht. »Danke, Madame.« Ihn interessierte ein Umstand besonders. »Ihr habt erwähnt, dass wir Dämonendiener sind? Wie kann ich mir das vorstellen? Und darum heißen wir
Judaskinder?
Judas war kein Dämon.«
»Nur ein Verräter. Vielleicht hatte er einen Pakt mit dem Teufel, um den Sohn Gottes zu vernichten. Ich weiß es nicht.« Metunova sagte es vollkommen neutral. »Früher hatten wir uns die Legende gegeben, unmittelbare Nachfahren von Judas Ischariot zu sein. Wir überhöhten uns, hielten uns für besser. Marek will das noch immer glauben.« Sie setzte sich auf den anderen Stuhl. Beide befanden sich nun auf Augenhöhe. Ihr Blick wurde milder. »Deine Mutter hat uns deutlich gemacht, dass wir nicht anders als die von uns verabscheuten übrigen Vampyre sind: ganz gewöhnliche Blutsauger.« Metunovas blaue Augen richteten sich auf die Bücher um sie herum. »Darin steht so manches geschrieben, was dir helfen kann, wenn du weiter vordringen möchtest. Es scheint, als trügen verschiedene Dämonen in dieser Welt ihre Kämpfe aus, die sie in der Hölle nicht führen wollen. Vampyre und Wandelwesen sind ihre Figuren. Vielleicht gibt es noch viel mehr ihrer Soldaten, aber denen bin ich noch nicht begegnet.«
Dominic hatte gebannt gelauscht. Schnell tauchte er den Kiel in die Tinte und schrieb mit fliegender Hand. »Und wie … funktioniert das?« Er wollte, musste mehr erfahren! Endlich saß er aneiner Quelle des Wissens. Marek dagegen erschien ihm hohl und leer wie ein ausgetrockneter Brunnen.
Metunova lächelte. »Du konntest nicht wissen, warum ich dich vorhin gemustert hatte. Mir stand nicht der Sinn nach fleischlichem Vergnügen mit dir.«
Das wird sie mir ewig vorhalten und mich damit aufziehen!
»Ich habe versucht zu erraten, wo sich das Erkennungszeichen des Dämons befindet.« Ihr Blick war freundlich und endlich frei von jeglichem Argwohn. »Du hast ein Mal an deinem Körper, einen roten Fleck. Das beweist deine Zugehörigkeit zu einem bestimmten Dämon. Jeder Dämon nutzt ein anderes Zeichen für den Zwangspakt. Sobald wir vergehen, erhält er unsere Seele.«
Dominic horchte auf. »Kann man diesen Pakt lösen?«, fragte er heiser vor Aufregung.
Es gibt einen Ausweg aus diesem Unleben!
Metunova blickte ihn verblüfft an. »Schau einer an! Dominic, du bist ein gewitzter Junge.« Sie musste wieder lachen. »Wir versuchen, unsere Existenz zu verlängern, um die Seele nicht herausgeben zu müssen, aber
du
willst den Pakt auflösen.« Sie wurde ernst. »Ich werde darüber nachdenken. Bücher zum Nachlesen habe ich genug.«
Dominic trug nach, was er in der Eile nicht hatte schreiben können.
Nichts überstürzen. Ich muss den Pakt ja nicht sofort auflösen. Zuerst ein paar gelungene Raubzüge, die mich zu einem gemachten Mann machen, und dann nichts wie raus aus der Welt der Blutsauger und Menschenfresser.
Den Rachegedanken an Marek und am Bund der Sieben stellte er noch weiter hintenan. Er war sich selbst der Nächste.
Die Hunde schlugen mit lautem Gebell an.
Metunova reckte sich kerzengerade, stand auf und eilte zu dem kleinen Fenster neben der Tür. Sie spähte in die Nacht. Dominic sah, wie sie sich gleich darauf entspannte und sich ihrGesicht aufhellte. Sie öffnete die Tür und lief nach unten. »Komm mit! Du hast Glück. Du lernst jemand Besonderen kennen.« Schon war sie ins Erdgeschoss verschwunden.
Dominic hatte die Veränderung an ihr genau bemerkt; sogar ihre Stimme hatte sich gewandelt und klang freudig aufgeregt.
Wer immer es ist, er bringt das Mädchenhafte in ihr zum Vorschein. Er muss ihr am Herzen liegen.
Schnell folgte er, steckte die beschriebenen Seiten unter seine Jacke.
Als er die Treppen hinuntereilte, hatte Metunova den Eingang
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